3012-PS (2)

Verordnung für die Ostgebiete

Aktenvermerk

über die am 10. März 1943 stattgefundene Besprechung mit KV-Chef Staatsrat Peuckert in Rowno.

Anwesend:
1.) Generalmajor Nagel, Wi In Süd
2.) Generalleutnant Bruch, Rü In Ukraine
3.) KV-Chef Staatsrat Peuckert, Wi Stab Ost, Chefgruppe Arbeit und Beauftragter des G.B.A.
4.) Oberregierungsrat Meincke, Stellv. d.Beauftr. des G.B.A; in Rowno
5.) Oberkriegsverw.Rat Bong-Schmidt, Wi In Süd, Chefgruppe Arbeit
6.) KV-Abteilungschef Dr. Ackermann, Wi In Süd, Wi In Süd, Chefgruppe La in Rowno (zeitweise).

Staatsrat Peuckert erklärte einleitend, dass der Arbeitseinsatz in der deutschen Landwirtschaft und die vom Führer befohlenen Rüstungsprogramme die schnellste Heranführung weiterer 1 Million Arbeitskräfte aus den Ostgebieten gebieterisch fordere. Allein die deutsche Landwirtschaft benötige weitere 800 000 Arbeitskräfte, von denen bisher erst 30 000 angekommen seien. Auf Grund der Verordnung des G.B.A. über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung vom 27.1.1943, hätten sich zwar bisher etwa 1 Million Frauen gemeldet, es handle sich jedoch ganz überwiegend um Frauen, die nur halbtags dem Arbeitseinsatz zur Verfügung ständen, deren Einsatz in der Rüstungsindustrie daher kaum möglich sei. Im übrigen habe der Führer befohlen, dass zunächst die Kapazitäten der deutschen Rüstungsindustrie im Reich selbst restlos auszunutzen seien, bevor die in Frontnähe gelegenen Rüstungsbetriebe auf volle Touren gebracht würden.

Es sei vorgesehen, die Arbeitskräfte aus den Ostgebieten vor allem in der Land- und Ernährungswirtschaft, die Arbeitskräfte aus dem Westen (insbesondere die von Minister Speer benötigten Fachkräfte) der Rüstungswirtschaft zuzuführen.

Die aus den Ostgebieten aufzubringenden 1 Million Arbeitskräfte seien in den nächsten 4 Monaten zu stellen. Es sei daher erforderlich, dass ab 15.3. ein täglicher Abtransport von 5 000 Arbeitskräften erreicht werde, eine Zahl, die ab 1.4. auf täglich 10 000 gesteigert werden müsse. An diesem täglichen Aufbringungssoll sei RKU mit 3 000, Wi In Süd (altes Gebiet) mit 1 000, Wi In Mitte mit 500 und Weissruthenien ebenfalls mit 500 Arbeitskräften beteiligt.

Ihm, Staatsrat Peuckert, seien die Schwierigkeiten, die der Erfüllung dieser Kontingente entgegenstehen, bekannt. Trotzdem müsse auch seiner Auffassung nach im Grundsatz weiter auf freiwilliger Grundlage geworben werden. Um die Werbung auf freiwilliger Grundlage zum grösstmöglichen Erfolge zu führen, müsse aber eine intensive und systematische Propaganda-Aktion gestartet werden. Die Betreuung der Ostarbeiter im Reich sei nach Überwindung verschiedener Anfangsschwierigkeiten nunmehr als durchaus befriedigend zu bezeichnen, wovon er sich persönlich in zwei Gauen eingehend überzeugt habe. Hierfür spreche im übrigen auch die Tatsache, dass der Krankenstand der Ostarbeiter jetzt unter 2% liege. Im übrigen sei beispielsweise auch dem Ostarbeiterabzeichen der Charakter einer Minderbewertung seines Trägers dadurch genommen, dass jetzt jeder im Reich beschäftigte Ausländer verpflichtet sei, ein Nationalitätenabzeichen zu tragen.

Wenn eine Werbung auf freiwilliger Grundlage nicht zu den gewünschten Erfolgen führe, müsse mit einer Dienstverpflichtung gearbeitet werden (vergleiche § 1 der Verordnung des Chefs des Generalstabes des Heeres über Arbeitspflicht und Arbeitseinsatz im Operationsgebiet der neu besetzten Ostgebiete vom 6.2.1943). Er betone, dass die Anwendung einer Dienstverpflichtung in allen von den deutschen Truppen besetzten europäischen Gebieten dem ausdrücklichen Willen des Führers entspreche. Zwar wird es kaum durchführbar sein, eine auf die Einzelperson abgestellte Dienstverpflichtung durchzuführen, man müsse daher eine "corporative" Dienstverpflichtung aussprechen. Im übrigen habe er nicht die Absicht, über die Art der Anwendung von Zwangsmassnahmen im einzelnen genaue Bestimmungen zu geben, da die zu treffenden Massnahmen den örtlich verschieden gelagerten Verhältnissen angepasst werden müssten. Er sei jedoch für jede Anregung in Bezug auf die Art der Werbung dankbar, er müsse lediglich verlangen, dass die Kontingente erfüllt würden. Im RKU-Gebiet seien folgende Massnahmen beabsichtigt:

a) Eine jahrgangsweise Einberufung, etwa in Form einer 2-jährigen Arbeitspflicht mit dem Versprechen bevorzugter Landzuteilung.

b) Eine verstärkte Werbung zunächst in den Städten, verbunden mit einer Auskämmung der Betriebe.

c) Eine Bandenbekämpfung, zunächst entlang der Bahnlinie Brest — Pinsk — Gomel, in einem Gebietsstreifen von etwa 50 km Breite. Zur Durchführung dieser Aktion sei eine verstärkte Heranziehung von Polizeikräften beabsichtigt. Hierüber finde im Laufe der nächsten Woche eine Besprechung zwischen Sauckel, Rosenberg und Himmler statt. Der arbeitseinsatzmässige Erfolg solle sichergestellt werden durch den konzentrischen Ansatz von 350 bis 500 Werbern. Eine gleiche Aktion müsse von Tschernigow aus nach Westen gestartet werden.

d) Verstärkte Werbung auf dem Lande nach Durchführung der Frühjahrsbestellung in Zusammenarbeit mit der La. Nach eigenen Angaben der La können aus dem RKU-Gebiet auf dem Lande etwa 200 bis 250 000 Arbeitskräfte für das Reich geworben werden.

General Nagel gab zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Arbeitseinsatzes im Inspektionsbereich und betonte, dass es der Inspektion bisher immer noch gelungen sei, sowohl die berechtigten Forderungen der örtlichen Bedarfsträger, Truppe, Bergbau, Reichsbahn, Befestigungsarbeiten usw., zu befriedigen, als auch die Reichskontingente zu erfüllen. Es seien insgesamt annähernd 700 000 Arbeitskräfte aus dem Inspektionsbereich in das Reich abtransportiert worden. Er werde daher auch in Zukunft vor grossen Zahlen nicht kapitulieren.

Ob die neuen Forderungen des Gauleiters Sauckel termingemäss erfüllt werden könnten, sei jedoch zur Zeit noch nicht zu übersehen. Vor allem sei im Hinblick auf die Anspannung der Transportlage die Frage des Abtransportes der Arbeitskräfte im Augenblick noch ungeklärt. Nach den Erfahrungen könne aber nur zügig geworben und abtransportiert werden. Ebenso könnten durch Transportschwierigkeiten bedingte Ausfälle zeitlich nicht aufgeholt werden, sondern hätten zwangsläufig eine Hinausschiebung der Transporte zur Folge.

Der Befehlshaber Heeresgebiet Süd, General Friederici, habe vor einigen Tagen beantragt, die Werbung von Arbeitskräften für das Reich im Heeresgebiet zu verbieten. General F. habe seinen Antrag damit begründet, dass bei Fortsetzung der Werbung die Gefahr bestehe, den Bedarf der Truppe und der örtlichen Rüstungs- und Landwirtschaft nicht mehr decken zu können, Ausserdem sei erforderlich, gewisse Arbeitskraftreserven im Hinblick auf etwa anfallende Befestigungsarbeiten (Ostwall) im Heeresgebiet zu belassen. Die Verantwortung hierfür trage aber nicht General F., sondern die Wi In. Weiter habe sich General F. gegen die Methoden der Werbung gewandt, die seines Erachtens eine vermeidbare Beunruhigung der Bevölkerung und eine Stärkung der Banden zur Folge habe.

— Wi I habe bei der Heeresgruppe Süd sofort grösste Bedenken gegen das beabsichtigte Werbeverbot erhoben, zumal seiner Auffassung nach ohne Gefährdung der Interessen der Truppe und der Landwirtschaft aus den Gebieten Tschernigow, Ssumy, Saporoshje-Land und Melitopol, noch Arbeitskräfte für einen Einsatz im Reich abgegeben werden könnten. Aus den Betrieben der Stadt Dnjepropetrowsk 15 000 Arbeitskräfte abzugeben, was nach Ansicht von Claus-Selzner möglich sein soll, halte Wi I für nicht möglich. Wohl erscheine es denkbar, dass von den Arbeitsbehörden nicht erfasstes sich herumtreibendes Gesindel in dieser Kopfstärke vorhanden sei. Hierüber könnten aber genaue Angaben nicht gemacht werden.

Als entscheidend für den Erfolg einer weiteren Werbung stellte Wi I folgende Gesichtspunkte heraus:

1.) Eine wirksame Propaganda. Es sei entscheidend, nicht was wahr oder falsch sei, sondern ausschliesslich, was geglaubt werde. Also selbst wenn unterstellt werden könne, dass die Betreuung der Ostarbeiter im Reich nunmehr einwandfrei sei (ein eingegangener Bericht von Dr. Kohls, Wi Stab Ost, stelle noch erhebliche Mängel fest) dürfe nicht vergessen werden, dass über 80% der Briefe von Ostarbeitern an ihre Angehörigen unzensiert und zum Teil erst nach Monaten zugestellt würden. Diese Briefe bezögen sich also auf eine Zeit, in der fraglos vieles im Reich noch nicht in Ordnung gewesen sei, wirkten sich also noch längere Zeit ungünstig aus.

Vor allem aber müsse sich die Propaganda zuerst einmal an die deutschen Soldaten selbst wenden, da zur Zeit alle militärischen Dienststellen der Werbung, wenn nicht — infolge teilweise örtlich angewandter ungeschickter Werbemethoden — ablehnend, so doch verständnislos gegenüberstehen.

2.) Klare Richtlinien und Durchführungsbestimmungen zur Werbung. Der Soldat sei gewohnt, klare Befehle zu erhalten. Er erwarte daher auch die in § 15 der Verordnung über Arbeitspflicht und Arbeitseinsatz im Operationsgebiet der neu besetzten Ostgebiete vom 6.2.1943 in Aussicht gestellten Durchführungsbestimmungen. Insbesondere müsse klargestellt werden, welche Zwangsmassnahmen zu ergreifen seien bei Nichtbefolgung der Arbeitsdienstverpflichtung (vergleiche § 16 der Verordnung).

Wi I sagte zu, die Heeresgruppe Süd über den Inhalt der Besprechung, insbesondere die Dringlichkeit der Forderung des Gauleiters Sauckel zu unterrichten.

Staatsrat Peuckert wird bei Chef Wi Stab Ost einen Befehl erwirken, der den Begriff "vernünftige Werbemethoden" näher umreisst. Ausserdem wird er Veranlassung nehmen, die mit der Werbung von Arbeitskräften für das Reich in Zusammenhang stehenden Fragen persönlich bei der Heeresgruppe Süd und dem Befehlshaber Heeres-gebiet Süd zu besprechen.

Unterschrift (unl)
Oberkriegsverwaltungsrat
und stellvertretender Chefgruppenleiter

Übersicht:

Quellen:

  1. Der Nürnberger Prozess, Urkunden und anderes Beweismaterial
    Delphin-Verlag, München 1989
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