12.08.1939

Bericht des italienischen Außenministers Graf Ciano über eine Unterredung mit dem Reichsaußenminister v. Ribbentrop in Salzburg

Gleich zu Beginn unserer Unterredung verbirgt der Minister Ribbentrop nicht, daß er die Situation als außerordentlich ernst sieht und daß nach seiner Ansicht der Zusammenprall zwischen Deutschland und Polen unvermeidlich ist. Ich muß hinzufügen, daß seine Worte erfüllt sind von einem unvernünftigen und besessenen Willen, diesen Konflikt herbeizuführen. Er hat die schon bekannten Ereignisse noch einmal zusammengefaßt, die den Zustand der gegenwärtigen Spannung zwischen Deutschland und Polen geschaffen haben. Ich kann nicht sagen, daß er neue tatsächliche Elemente geliefert hat. Er hat im Gegenteil versucht, die Ereignisse in der schon wohlbekannten Form zu dramatisieren und ein Bild der Verfolgung von Deutschen und der Kastrierung einzelner Männer deutscher Rasse durch die polnische Soldateska zu geben. Aber keine neuen Tatsachen. Er ist der Meinung, daß die Ehre Deutschlands auf dem Spiele steht (er hat sogar einige Male gesagt, die Ehre der Achse). Er sagt, daß es für eine Großmacht nicht möglich sei, auf die legitime Reaktion zu verzichten. Ribbentrop geht von zwei Axiomen aus, über welche mit ihm zu diskutieren eitel ist, denn er antwortet, indem er das Axiom wiederholt und jede Argumentation vermeidet. Diese Axiome sind:

1. Der Konflikt wird sich nicht verallgemeinern, und Europa wird passiv der erbarmungslosen Vernichtung Polens durch Deutschland zusehen.

2. Selbst wenn England und Frankreich intervenieren wollten, sind sie materiell nicht in der Lage, Deutschland und der Achse Schaden zuzufügen, und der Konflikt würde sicher durch den Sieg der totalitären Mächte enden.

Ich wiederhole, daß es unnütz ist, eine Diskussion über diese Argumente mit Ribbentrop anzufangen. Ich habe mehrmals unseren eigenen Standpunkt dargelegt. Ich habe dargelegt, wie alle die gegenwärtigen Bedingungen der europäischen Politik die bewaffnete Intervention Frankreichs und Englands mit Unterstützung oder der direkten Hilfe zahlreicher anderer Länder als unvermeidlich erscheinen lassen. Vergeblich. Ribbentrop verkriecht sich in eine reine und simple negative Haltung, indem er sagt, daß seine Informationen und besonders seine psychologische Kenntnis (!) Englands es als sicher erscheinen lassen, daß jede bewaffnete britische Intervention ausgeschlossen ist.

Bei einer tour d'horizon hinsichtlich der gegenwärtigen europäischen Situation hat er praktisch das folgende behauptet:

1. Rußland wird in diesem Konflikt nicht intervenieren, weil die Verhandlungen in Moskau vollkommen gescheitert sind und weil (wie er mir in strengem Vertrauen gesagt hat) ziemlich konkrete Verhandlungen zwischen Moskau und Berlin bereits im Gange sind. (Ich bemerke, daß dieses so streng gewahrte Geheimnis über die Entwicklung dieser Verhandlungen sich schlecht mit den Bedingungen des Bündnisses und der vollkommenen Loyalität verträgt, die wir gegenüber Deutschland an den Tag gelegt haben.)

2. Frankreich und England können nicht intervenieren, weil ihre militärische Vorbereitung ungenügend ist und weil sie keine Mittel haben, Deutschland anzugreifen, während Deutschland selbst in der Lage ist - dank vor allem seiner Luftwaffe, die viel stärker ist als die der beiden Luftwaffen der Westmächte zusammen -, all die französisch-englischen Zentren zu bombardieren.

3. Belgien und Holland beabsichtigen, eine strenge Neutralität zu beobachten, und sind entschlossen, gegen jegliche Macht die Unversehrtheit ihres Gebietes zu verteidigen.

4. Die Türkei kann keinen konkreten Beitrag leisten. Viele Anzeichen, die v. Papen mitgeteilt habe, lassen glauben, daß das Land unzufrieden ist über den Weg, den es seit kurzem beschritten hat.

5. Rumänien beabsichtigt nicht, etwas Konkretes zu tun. Es wird weiterhin zur Seite stehn, um sein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, und es bereitet keinerlei militärische Sorgen, da Bulgarien und Ungarn mehr als ausreichend sind, um Rumänien zu liquidieren.

6. Jugoslawien ist wenig sicher. In London hat Paul eine Aktivität entfaltet und Vorschläge gemacht, die eindeutig feindselig gegen die Achse sind. Aber dieses Land ist gleichfalls sehr schwach. Das Reich wünscht, daß Italien die Gelegenheit der polnischen Angelegenheit benützt, um seinen Streit mit Jugoslawien in Kroatien und Dalmatien zu liquidieren.

7. Was Amerika angeht, stellt Ribbentrop fest, daß besonders nach einer von ihm mit Druckschriften durchgeführten Propagandaaktion ein grundlegender Wandel der öffentlichen Meinung eingetreten sei, die sich immer mehr zur Neutralität und zur Isolierung orientiere. Bei diesem Zustand der Dinge sieht Ribbentrop eine besonders günstige Situation für eine Aktion Deutschlands. Er gibt zu, daß er bei unseren früheren Unterredungen stets von zwei oder drei Jahren Vorbereitung gesprochen hat, damit der Gegner mit einer absoluten Gewißheit des Erfolges getroffen werden könnte. Aber heute sagt er, daß eine neue Situation eingetreten sei, die wahrscheinlich die Ereignisse überstürzen werde. In diesem Falle werde Deutschland mit größter Entschlossenheit handeln.

Ich habe meinerseits zu Ribbentrop mit der größten Klarheit nach den Befehlen des Duce gesprochen, und ich habe die Gründe auseinandergesetzt, weshalb die Vermeidung eines Konfliktes vollkommen den Interessen der Länder der Achse entspreche, die bisher den Vorteil der Initiative und Überraschung gehabt hätten, einen Vorteil, der in der gegenwärtigen Situation verlorengegangen sei.

Ribbentrop hat meinen Argumenten zugehört und Kenntnis von meiner Argumentation genommen, ohne jedoch in eine Diskussion über ihren Inhalt eintreten zu wollen. Als ich ihm die Nützlichkeit darlegte, eine Geste zu machen, die angetan wäre, die Bedingungen einer schwierigen Situation zu verändern, d. h. mitzuteilen, daß die Mächte der Achse es noch immer als möglich ansehen, die Krise mittels der normalen diplomatischen Verhandlungen zu lösen, hat er sich dem widersetzt. Ich habe ihm den Entwurf eines Kommuniques gezeigt und habe ihm lange die tausend Gründe auseinandergelegt, die uns dazu führen, eine derartige Prozedur als die zweckmäßigste und nützlichste anzusehen. Ribbentrop hat nur den einen unbegründeten Einwand gemacht, daß eine derartige Geste als eine Schwäche seitens der Achse gedeutet werden kann. Ich habe geantwortet, daß das ein Irrtum wäre, denn der Wortlaut des Kommuniqués habe eher den Ton einer Warnung an die Gegner als den eines Zurückweichens von unseren Positionen.

Ribbentrop hat selbst zugeben müssen, daß die Geste taktisch nützlich wäre. Aber in seinen unvernünftigen und verbissenen Willen nach einem Konflikt verbohrt, hat er während der langen Unterredungen am 11. versucht, die Initiative an sich zu reißen, indem er mechanisch und ohne plausible Erklärung die beiden Sätze wiederholte, daß der Konflikt lokalisiert werden würde und daß selbst, wenn er sich zu einem allgemeinen Krieg ausweiten würde, der Sieg Deutschlands hundertprozentig gesichert sei.

Als ich von ihm Präzisionen über das nächste Aktionsprogramm Deutschlands verlangte - da nach seiner Aussage die Ereignisse mit wachsender Schnelligkeit abrollen werden -, hat er nicht antworten wollen. Selbst, als ich bemerkte, daß uns all dies in keiner Weise mitgeteilt worden wäre, daß sogar in meinen jüngsten Unterhaltungen mit dem Botschafter die unmittelbare Nähe der Krise dementiert worden wäre, antwortete er, daß er nicht in der Lage sei, mir größere Einzelheiten über das, was geschehen werde, mitzuteilen, denn alle Entschließungen seien noch in der undurchdringlichen Brust des Führers verborgen.

Aber nach zehn Stunden ununterbrochener Unterredung mit Ribbentrop habe ich ihn verlassen, zutiefst überzeugt, daß er den Konflikt provozieren will und daß er sich jeder Initiative widersetzen wird, die dazu führen könnte, die gegenwärtige Krise auf friedliche Weise zu lösen.

Quelle:

  1. Michael Freund (Hrsg.)
    Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Dokumenten, Bd. 3, S. 27
    Freiburg im Breisgau, 1956
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