16.07.1941

Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Rußland

[...]

Auf Anordnung des Führers fand heute bei ihm um 15 Uhr eine Besprechung mit Reichsleiter Rosenberg, Reichsminister Lammers, Feldmarschall Keitel, mit dem Reichsmarschall und mir (Bormann) statt.

Die Besprechung begann um 15 Uhr und dauerte mit einer Kaffeepause bis gegen 20 Uhr. Einleitend betonte der Führer, er wolle zunächst einige grundsätzliche Feststellungen treffen. Verschiedene Maßnahmen seien jetzt notwendig; dies beweise u. a. ein von einer unverschämten Vichy-Zeitung gebrachter Hinweis, der Krieg gegen die Sowjet-Union sei ein Krieg Europas; er sei also auch für ganz Europa zu führen. Offenbar wollte diese Vichy-Zeitung mit diesen Hinweisen erreichen, daß die Nutznießer dieses Krieges nicht allein die Deutschen sein dürften, sondern daß alle europäischen Staaten daraus ihren Nutzen ziehen müßten.

Wesentlich sei es nun, daß wir unsere Zielsetzung nicht vor der ganzen Welt bekanntgäben; dies sei auch nicht notwendig, sondern die Hauptsache sei, daß wir selbst wüßten, was wir wollen. Keinesfalls solle durch überflüssige Erklärungen unser eigener Weg erschwert werden. Derartige Erklärungen seien überflüssig, denn soweit unsere Macht reiche, könnten wir alles tun und was außerhalb unserer Macht liege, könnten wir ohnehin nicht tun.

Die Motivierung unserer Schritte vor der Welt müsse sich also nach taktischen Gesichtspunkten richten. Wir müßten hier genau so vorgehen, wie in den Fällen Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien. Auch in diesen Fällen hätten wir nichts über unsere Ansichten gesagt, und wir würden dies auch weiterhin klugerweise nicht tun.

Wir werden also wieder betonen, daß wir gezwungen waren, ein Gebiet zu besetzen, zu ordnen und zu sichern; im Interesse der Landeseinwohner müßten wir für Ruhe, Ernährung, Verkehr usw. sorgen; deshalb unsere Regelung. Es soll also nicht erkennbar sein, daß sich damit eine endgültige Regelung anbahnt! Alle notwendigen Maßnahmen - Erschießen, Aussiedeln etc. - tun wir trotzdem und können wir trotzdem tun.

Wir wollen uns aber nicht irgendwelche Leute vorzeitig und unnötig zu Feinden machen. Wir tun also lediglich so, als ob wir ein Mandat ausüben wollten. Uns muß aber dabei klar sein, daß wir aus diesen Gebieten nie wieder herauskommen.

Demgemäß handelt es sich darum:

1. Nichts für die endgültige Regelung zu verbauen, sondern diese unter der Hand vorzubereiten;

2. wir betonen, daß wir die Bringer der Freiheit wären.

Im einzelnen:

Die Krim muß von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden. Ebenso wird das alt-österreichische Galizien Reichsgebiet.

Jetzt ist unser Verhältnis zu Rumänien gut, aber man weiß nicht, wie künftig zu jeder Zeit unser Verhältnis sein wird. Darauf haben wir uns einzustellen, und danach haben wir unsere Grenzen einzurichten. Man soll sich nicht vom Wohlwollen anderer abhängig machen; danach müssen wir unser Verhältnis zu Rumänien einrichten.

Grundsätzlich kommt es also darauf an, den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können.

Die Russen haben jetzt einen Befehl zum Partisanen-Krieg hinter unserer Front gegeben. Dieser Partisanen-Krieg hat auch wieder seinen Vorteil; er gibt uns die Möglichkeit auszurotten, was sich gegen uns stellt.

Grundsätzliches:

Die Bildung einer militärischen Macht westlich des Ural darf nie wieder in Frage kommen und wenn wir hundert Jahre darüber Krieg führen müßten. Alle Nachfolger des Führers müssen wissen: die Sicherheit des Reiches ist nur dann gegeben, wenn westlich des Ural kein fremdes Militär existiert; den Schutz dieses Raumes vor allen eventuellen Gefahren übernimmt Deutschland.

Eiserner Grundsatz muß sein und bleiben:

Nie darf erlaubt werden, daß ein Anderer Waffen trägt, als der Deutsche!

Dies ist besonders wichtig; selbst wenn es zunächst leichter erscheint, irgendwelche fremden unterworfenen Völker zur Waffenhilfe heranzuziehen, ist es falsch! Es schlägt unbedingt und unweigerlich eines Tages gegen uns aus. Nur der Deutsche darf Waffen tragen, nicht der Slawe, nicht der Tscheche, nicht der Kosak oder der Ukrainer!

Keinesfalls dürfen wir eine Schaukel-Politik führen, wie dies vor 1918 im Elsaß geschah. Was den Engländer auszeichnet, ist sein immer gleichmäßiges Verfolgen einer Linie und eines Zieles! In dieser Hinsicht müssen wir unbedingt vom Engländer lernen. Wir dürfen demgemäß unsere Stellungnahme auch nie abhängig machen von einzelnen vorhandenen Persönlichkeiten: auch hier ist das Verhalten der Engländer in Indien gegenüber den indischen Fürsten usw. ein Beispiel: Immer muß der Soldat das Regime sicherstellen!

Aus den neugewonnenen Ostgebieten müssen wir einen Garten Eden machen; sie sind für uns lebenswichtig; Kolonien spielen dagegen eine ganz untergeordnete Rolle.

Auch wenn wir einzelne Gebietsteile jetzt schon abteilen, immer müssen wir als Schützer des Rechts und der Bevölkerung vorgehen. Demgemäß seien die jetzt notwendigen Formulierungen zu wählen; wir sprechen nicht von einem neuen Reichsgebiet, sondern von einer durch den Krieg notwendigen Aufgabe.

Im einzelnen:

Im Baltikum muß jetzt das Gebiet bis zur Düna nach näherer Festlegung mit Feldmarschall Keitel in Verwaltung genommen werden.

Reichsleiter Rosenberg betont, nach seiner Auffassung sei in jedem Kommissariat eine andere Behandlung der Bevölkerung notwendig. In der Ukraine müßten wir mit einer kulturellen Betreuung einsetzen, wir müßten dort das Geschichtsbewußtsein der Ukrainer wecken, müßten eine Universität in Kiew gründen und dergleichen.

Der Reichsmarschall stellt demgegenüber fest, daß wir doch zunächst an die Sicherung unserer Ernährung denken müssen, alles andere könne doch erst viel später kommen.

(Nebenfrage: Gibt es überhaupt noch eine kulturelle Schicht in der Ukraine oder gibt es Ukrainer gehobenen Standes lediglich außerhalb des heutigen Rußland als Emigranten? )

Rosenberg fährt fort, auch in der Ukraine müßten gewisse Selbständigkeitsbestrebungen gefördert werden.

Der Reichsmarschall bittet den Führer um Mitteilung, welche Gebiete anderen Staaten zugesagt seien.

Der Führer erwidert, Antonescu wolle Bessarabien und Odessa nebst einem Streifen, der von Odessa in West-Nordwest führt.

Auf die Einwände des Reichsmarschalls und Rosenbergs stellt der Führer fest, daß die neue von Antonescu gewünschte Grenze wenig außerhalb der alten rumänischen Grenze führe. Der Führer betont weiter, den Ungarn, den Türken und den Slowaken sei nichts Bestimmtes zugesagt worden.

Der Führer stellt dann zur Erwägung, ob man nicht den altösterreichischen Teil Galiziens sofort zum Gouvernement geben soll; auf Einwände hin bestimmt der Führer, dieser Teil solle nicht zum Gouvernement kommen, sondern lediglich gleichzeitig dem Reichsminister Frank unter-stellt werden (Lemberg).

Der Reichsmarschall hält es für richtig, verschiedene Teile des Balten-Landes, z. B. die Bialystoker Forsten, Ostpreußen zuzuteilen.

Der Führer betont, das gesamte Balten-Land müsse Reichsgebiet werden.

Ebenso müsse die Krim mit einem erheblichen Hinterland (Gebiet nördlich der Krim) Reichsgebiet werden; das Hinterland müsse möglichst groß sein.

Hiergegen hat Rosenberg Bedenken wegen der dort wohnenden Ukrainer.

(Nebenbei: Es tritt mehrfach in Erscheinung, daß Rosenberg für die Ukrainer sehr viel übrig hat; er will die alte Ukraine auch erheblich vergrößern.)

Der Führer betont weiter, auch die Wolga-Kolonie müsse deutsches Reichsgebiet werden, ebenso das Gebiet um Baku; es müsse deutsche Konzession werden (Militär-Kolonie).

Die Finnen wollen Ost-Karelien, doch soll wegen der großen Nickel-Vorkommen die Halbinsel Kola zu Deutschland kommen.

Mit aller Vorsicht müsse die Angliederung Finnlands als Bundesstaat vorbereitet werden. Das Gebiet um Leningrad wird von den Finnen beansprucht; der Führer will Leningrad dem Erdboden gleichmachen lassen, um es dann den Finnen zu geben.

Es folgt dann eine längere Erörterung über die Eignung des Gauleiters Lohse, den Rosenberg als Gouverneur für das Balten-Land vorgesehen hat. Rosenberg betont immer wieder, er habe nun schon mit Lohse gesprochen und es wäre sehr peinlich, wenn Lohse nicht beauftragt würde; den westlichen Teil des Balten-Landes soll Kube unter Lohse bekommen; für die Ukraine hat Rosenberg Sauckel vorgesehen.

Demgegenüber betonte der Reichsmarschall die wichtigsten Gesichtspunkte, die zunächst ausschließlich für uns bestimmend sein können: Sicherung der Ernährung, soweit notwendig, der Wirtschaft, Sicherung der Straßen usw.

Der Reichsmarschall betont, entweder müsse Koch für das Balten-Land in Frage kommen, weil er das Balten-Land genau kenne, oder aber man gebe Koch die Ukraine, die sicherlich Koch am besten bewirtschaften würde, weil Koch eben die Persönlichkeit mit der stärksten Initiative und der besten Vorbildung sei.

Der Führer fragte, ob Kube nicht als Reichskommissar für das Moskauer Gebiet in Frage kommen könne; Rosenberg und der Reichsmarschall meinen, Kube sei dazu zu alt geworden. Auf nochmalige Vorstellungen erklärte Rosenberg, er befürchte, daß Koch seinen Direktiven sehr rasch keine Folge leisten würde; Koch habe dies im übrigen schon selbst ausgesprochen. Der Reichsmarschall wies demgegenüber darauf hin, Rosenberg könne die eingesetzten Leute ja nun nicht ständig gängeln, sondern diese Leute müßten doch sehr selbständig arbeiten. Für das Kaukasus-Gebiet hat Rosenberg seinen Stabsleiter Schickedanz vorgesehen; er betonte wiederholt, Schickedanz werde diese Aufgabe sicher sehr gut erfüllen, was vom Reichsmarschall bezweifelt wird.

Rosenberg erklärte dann, Lutze habe ihm den Vorschlag gemacht, verschiedene SA.-Führer einzusetzen, und zwar Scheppmann nach Kiew - Manthey - Dr. Bennecke -, Litzmann nach Estland und nach Lettland den Bürgermeister Dr. Drexler.

Der Führer hat gegen die Verwendung der SA.-Führer keine Bedenken.

Rosenberg erklärt dann, er habe einen Brief von Ribbentrop erhalten, der die Einschaltung des Auswärtigen Amtes gewünscht habe; er bitte aber den Führer festzustellen, daß die innere Gestaltung des neuen Raumes das Auswärtige Amt nichts anginge. Diese Auffassung wird vom Führer durchaus geteilt. Es genügt zunächst, wenn das Auswärtige Amt zum Reichsleiter Rosenberg einen Verbindungsmann abstellt.

Der Führer betont, das wichtigste Gebiet für die nächsten drei Jahre sei zweifellos die Ukraine. Daher werde Koch am besten dort eingesetzt; wenn Sauckel Verwendung finden solle, dann sei es besser, ihn im Balten-Land zu verwenden.

Rosenberg erklärt weiter, er wolle im Moskauer Gebiet als Kommissare Schmeer, Selzner und Manderbach verwenden. Der Führer wünscht, daß auch Holz verwendet wird und daß die Verwaltung der Krim dem ehemaligen Gauleiter Frauenfeld übertragen wird.

Rosenberg erklärt, er wolle seiner Verdienste wegen auch den Hauptmann v. Petersdorff verwenden; allgemeines Entsetzen, allgemeine Ablehnung. Der Führer und der Reichsmarschall betonten, v. Petersdorff sei zweifellos geisteskrank.

Rosenberg erklärt weiter, daß ihm auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Stroelin zur Verwendung vorgeschlagen sei. Dagegen bestehen keine Bedenken.

Da nach Auffassung des Reichsmarschalls und Rosenbergs Kube für das Moskauer Gebiet zu alt ist, soll Kasche dieses Gebiet übernehmen.

(Vermerk für Pg. Klopfer: Bitte erbitten Sie sich baldigst bei Dr. Meyer die Unterlagen über die beabsichtigte Organisation und über die beabsichtigten Stellen-Besetzungen.)

Der Reichsmarschall betont, er wolle die Halbinsel Kola dem Gauleiter Terboven zur Ausbeutung übergeben; der Führer ist damit einverstanden.

Der Führer betont, Lohse solle also zunächst, wenn er sich dieser Aufgabe gewachsen fühle, das Balten-Land übernehmen, Kasche Moskau, Koch die Ukraine, Frauenfeld die Krim, Terboven Kola und Schickedanz den Kaukasus.

Reichsleiter Rosenberg schnitt dann die Frage der Sicherung der Verwaltung an.

Der Führer sagt dem Reichsmarschall und dem Feldmarschall, er habe immer darauf gedrängt, daß die Polizei-Regimenter Panzerwagen bekämen; für den Einsatz der Polizei in den neuen Ostgebieten sei dies höchst notwendig, denn mit einer entsprechenden Anzahl von Panzerwagen könne ein Polizei-Regiment natürlich ein Vielfaches leisten. Im übrigen, betont der Führer, aber sei die Sicherung natürlich sehr dünn. Der Reichsmarschall werde aber alle seine Übungs-Flugplätze in die neuen Gebiete verlegen und wenn es notwendig sei, dann könnten selbst Ju 52 bei Aufruhr Bomben schmeißen. Der Riesenraum müsse natürlich so rasch wie möglich befriedet werden; dies geschehe am besten dadurch, daß man Jeden, der nur schief schaue, totschieße.

Feldmarschall Keitel betont, für ihre Dinge müsse man die Einwohner selbst verantwortlich machen, denn es sei natürlich nicht möglich, für jeden Schuppen und für jeden Bahnhof eine Wache zu stellen. Die Einwohner müßten wissen, daß Jeder erschossen würde, der nicht funktioniere, und daß sie für jedes Vergehen haftbar gemacht würden.

Auf die Rückfrage Reichsleiter Rosenbergs erwiderte der Führer, Zeitungen - auch z. B. für die Ukraine - müßten wieder ins Leben gerufen werden, um die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Landeseinwohner zu bekommen.

Nach der Pause betonte der Führer, wir müßten uns darüber klar sein, daß das heutige Europa nur ein geographischer Begriff sei, in Wirklichkeit ginge Asien bis zu unseren bisherigen Grenzen.

Reichsleiter Rosenberg schildert nun die von ihm beabsichtigte organisatorische Einteilung; er wolle einen ständigen Vertreter des Reichskommissars nicht von vornherein bestimmen, sondern der tüchtigste der Generalkommissare solle jeweils die Vertretung des Reichskommissars übernehmen.

Beim Reichskommissar will Rosenberg vier Abteilungen gründen:
erstens für die allgemeine Verwaltung,
zweitens für Politik,
drittens für Wirtschaft,
viertens für Technik und Bauwesen.

(Nebenbei: Der Führer betont, die Tätigkeit von Kirchen käme keinesfalls in Frage. Papen habe ihm über das Auswärtige Amt schon eine lange Denkschrift geschickt, in der behauptet wird, jetzt sei der richtige Augenblick, die Kirchen wieder einzuführen; dies komme aber keinesfalls in Frage.)

Der Reichsmarschall wird zur Dienststelle Rosenberg die Ministerialdirektoren Schlotterer und Riecke abstellen.

Reichsleiter Rosenberg bittet nun um ein entsprechendes Dienstgebäude; er bittet um das Gebäude der Handelsvertretung der Sowjet-Union in der Lietzenburger Straße; das Auswärtige Amt sei zwar der Auffassung, dieses Gebäude sei exterritorial. Der Führer erwidert, dies sei Unsinn; Reichsminister Dr. Lammers wird beauftragt, dem Auswärtigen Amt mitzuteilen, das Haus sei ohne Verhandlung augenblicklich an Rosenberg zu übergeben.

Rosenberg macht dann den Vorschlag, einen Verbindungsmann zum Führer abzustellen; diese Aufgabe solle sein Adjutant Koeppen übernehmen; der Führer ist damit einverstanden und erklärt, Koeppen solle die Parallel-Rolle zu Hewel übernehmen.

Reichsminister Dr. Lammers verliest nun die von ihm gefertigten Entwürfe (siehe Anlage!)

Eine längere Diskussion setzt über die Zuständigkeit des RFSS ein; offenbar wird dabei von allen Beteiligten aber auch an die Zuständigkeit des Reichsmarschalls gedacht.

Der Führer, der Reichsmarschall etc. betonen wiederholt, Himmler solle ja keine andere Zuständigkeit bekommen, als er sie im Reich habe; dies aber sei unbedingt notwendig.

Der Führer betont wiederholt, in der Praxis werde sich der Streit sehr rasch geben; er erinnert an die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Heer und Luftwaffe an der Front. Abschließend wird bestimmt, das Balten-Land solle Ostland genannt werden.

[Anlagen]

Quelle:

  1. H. A. Jacobsen
    Der Weg zur Teilung der Welt, S. 118ff
nach oben
© Jürgen Langowski 2024
Impressum | Datenschutz