NO-250

Sonderbehandlung der Schwerkranken

[Schreiben des Dr. med. Blome, Hauptamt f. Volksgesundheit, an Reichsstatthalter Arthur Greiser]

Dr. med. Blome
stellv. Leiter des Hauptamtes
für Volksgesundheit der NSDAP
Lindenstr. 42
Berlin, SW 68
den 18. Nov. 1942

An den Reichsstatthalter und Gauleiter Parteigenossen Greiser, Posen.

Betr.: Tuberkulose-Aktion im Warthegau.

Sehr geehrter Parteigenosse Greiser,

heute komme ich zurück auf unsere verschiedenen Besprechungen über die Tuberkulosebekämpfung in Ihrem Gau und gebe Ihnen — wie am 9. ds. Mts. in München vereinbart — ein umfassendes Bild der Lage, wie sie sich mir zeigt:

Die Voraussetzungen, alle Tuberkulosekranken in Ihrem Gau schnell zu erfassen, sind gegeben, die Gesamtbevölkerung des Gaues beträgt rund 4,5 Millionen Menschen, davon etwa 835 000 Deutsche. Nach den bisherigen Beobachtungen liegen die Erkrankungsziffern an Tuberkulose im Warthegau weit über der Durchschnittszahl des Altreichs. Für 1939 wurde errechnet, daß unter den Polen etwa 35 000 offene Tuberkulöse und ausschließlich dieser Zahl 120 000 andere, behandlungsbedürftige Tuberkulöse vorhanden sind. Dabei muß erwähnt werden, daß trotz des Abschiebens eines Teiles der Polen in den weiteren Osten die Zahl der Erkrankten mindestens die gleiche Höhe hat wie 1939. Da infolge des Krieges die Wohn- und Ernährungsverhältnisse gegenüber dem Jahre 1939 zunehmend schlechter geworden sind, muß sogar mit höheren Zahlen gerechnet werden.

Mit der Einsiedlung von Deutschen in alle Teile des Gaues ist für diese eine ungeheure Gefahrenquelle erwachsen. Täglich fallen eine Anzahl von Beispielen für die Infektion von gesiedelten deutschen Kindern und Erwachsenen an.

Was für den Warthegau gilt, muß in etwa auch für die anderen neu eingegliederten Gebiete, wie Danzig-Westpreußen, die Regierungsbezirke Ziechenau und Kattowitz gelten. Es liegen Fälle vor, daß im Warthegau angesetzte Deutsche sich wegen der Infektionsgefahr weigern, ihre Familien nachzuholen. Machen solche Beispiele erst Schule und sehen unsere Landsleute, daß in bezug auf den Kampf gegen die Tuberkulose bei den Polen nicht entsprechende Maßnahmen getroffen werden, so ist damit zu rechnen, daß der notwendige weitere Zustrom gehemmt wird. Damit aber könnte das Siedlungsprogramm für den Osten in ein unerwünschtes Stadium eintreten.

Es muß daher bald etwas Grundlegendes geschehen.

Es ist zu prüfen, in welcher Form dies möglichst gründlich durchgeführt werden kann. Drei Wege kommen in Frage:

1. Sonderbehandlung der Schwerkranken
2. Strengste Asylierung der Schwerkranken
3. Schaffung eines Reservats für alle Tb-Kranken.

Bei der Planung sind verschieden wichtige Gesichtspunkte sachlicher, politischer und psychologischer Art zu beachten. Bei nüchternster Betrachtung wäre der einfachste Weg folgender: wir erfassen mit Hilfe des Röntgensturmbannes in der ersten Hälfte des Jahres 1943 die Gesamtbevölkerung des Gaues, also Deutsche und Polen. Für die Deutschen ist die Behandlung und Asylierung nach den Vorschriften der Tuberkulosehilfe vorzubereiten und durchzuführen. Die etwa 35 000 unheilbaren und ansteckungsfähigen Polen werden 'sonderbehandelt'. Die übrigen polnischen Tuberkulösen werden einer entsprechenden Heilbehandlung zugeführt, um sie dem Arbeitsprozeß zu erhalten und ihre Ansteckungsfähigkeit nicht aufkommen zu lassen.

Auf Ihren Wunsch hin habe ich die entsprechenden Vorbereitungen mit den in Frage kommenden Stellen getroffen, um dieses Radikalverfahren anlaufen und innerhalb eines halben Jahres durchführen zu lassen. Sie sagten mir, daß Sie von zuständiger Stelle die Zustimmung für die Sonderbehandlung erhalten und auch die entsprechende Unterstützung zugesagt bekommen haben. Bevor aber die Aktion nun endgültig anläuft, halte ich es für richtig, daß Sie sich noch einmal ausdrücklich dahingehend versichern, daß der Führer mit einer solchen Lösung wirklich auch einverstanden ist.

Ich könnte mir denken, daß der Führer, nachdem er schon vor längerer Zeit die Aktion in den Irrenanstalten abgestoppt hat, im Augenblick eine 'Sonder-Behandlung' der aussichtslosen Kranken politisch nicht für zweckmäßig oder tragbar hält. Bei der Euthanasie-Aktion handelte es sich um erbkranke Menschen deutscher Staatsangehörigkeit. Jetzt würde es sich um Infektionserkrankte eines unterworfenen Volkes handeln.

Daß der in Aussicht genommene Weg die einfachste und radikalste Lösung darstellt, steht außer allem Zweifel. Wenn die Garantie einer restlosen Geheimhaltung gegeben wäre, könnte man Bedenken — gleich welcher Art — zurückstellen. Ich halte aber eine Geheimhaltung einfach für unmöglich. Daß diese Annahme zutrifft, dürfte die Erfahrung gelehrt haben. Wenn nun diese Kranken — wie geplant — in das Altreich angeblich zur Behandlung bzw. Heilung geschickt werden, in Wirklichkeit aber nicht zurückkommen, so merken eines Tages auch bei der besten Geheimhaltung die Angehörigen der Kranken, daß hier 'irgend etwas nicht in Ordnung geht'. Es ist auch zu bedenken, daß sich sehr viele polnische Arbeitskräfte im Altreich befinden, diese Rückfragen über den Verbleib ihrer Angehörigen halten, daß eine gewisse Anzahl Deutscher mit Polen verwandt oder verschwägert ist, also auf diese Weise vom Abtransport der Kranken Kenntnis erhält. Sehr bald würden bestimmte Nachrichten über die Aktion durchsickern, die von der feindlichen Auslandspropaganda aufgegriffen werden. In welcher Form dies geschieht und welcher Methoden man sich dabei bedient, das hat die Euthanasie-Aktion gelehrt. Politisch dürfte diese neue Aktion noch mehr ausgewertet werden, da es sich hier um Angehörige einer besiegten Nation handelt. Auch die Kirche wird nicht schweigen. — Man wird auch nicht bei der Polemik über diese Aktion stehenbleiben. Gewisse Kreise, die daran interessiert sind, werden das Gerücht im Volk ausstreuen, daß man gleiche Methoden in Zukunft auch gegenüber den deutschen Tuberkulösen anwenden wird. Ja, daß damit zu rechnen ist, daß in Zukunft mehr oder weniger alle unheilbare Kranken erledigt würden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das immer wiederkehrende Beispiel aus jüngster Zeit, wo die ausländischen Sender in Zusammenhang mit der Ernennung von Prof. Brandt zum Generalkommissar die Nachricht verbreiteten, daß sein Auftreten dahin gehe, sich um die Schwerversehrten möglichst wenig, aber um die Wiederherstellung der Leichtverwundeten um so mehr zu kümmern. Und Schwarzhörer gibt es mehr als genug.

Es ist des weiteren in Rechnung zu stellen, daß das beabsichtigte Verfahren für unsere Feinde ein ausgezeichnetes Propagandamaterial nicht nur bei den italienischen Ärzten und Wissenschaftlern, sondern beim ganzen italienischen Volk infolge der starken katholischen Bindungen abgibt. Daß der Feind die Ärzteschaft der Welt mobilisieren wird, steht ebenfalls außer allem Zweifel. Und dies ist ja um so leichter möglich, als von altersher die allgemeine Auffassung vom ärztlichen Tun und Handeln dahin geht, 'dem armen, unschuldigen Kranken sein Leben möglichst lange zu erhalten und seine Leiden zu mildern'.

Ich glaube daher, daß dem Führer diese Gesichtspunkte vor Beginn der Aktion vorgetragen werden müssen, denn meines Erachtens kann nur er allein alle Zusammenhänge übersehen und entscheiden.

Sollte der Führer die Radikallösung ablehnen, so müssen entsprechende Vorbereitungen für einen anderen Weg getroffen werden. Eine geschlossene Ansiedlung aller polnischen Tuberkulösen, also der Nichtheilbaren wie der Heilbaren, wäre eine Möglichkeit, um eine Isolierung der Infektiösen sicherzustellen. Man könnte die direkten Familienangehörigen, soweit sie den Wunsch hierzu haben, mit ansiedeln, so daß Pflege und Unterhalt gewährleistet wären. Aus Gründen des Arbeitseinsatzes könnte man in solchen Gebieten außer Land und Forstwirtschaft auch gewisse Industriezweige entwickeln. Ob sie eine solche Möglichkeit innerhalb Ihres Gaues sehen, entzieht sich meiner Beurteilung. Ich könnte mir auch denken, daß man ein gemeinsames Ansiedlungsgebiet nicht nur für die Tuberkulösen Ihres Gaues, sondern auch für die der Gaue Danzig-Westpreußen, des Regierungsbezirkes Ziechenau und der Provinz Oberschlesien schaffen könnte. Um die öffentlichen Verkehrsmittel nicht unnütz zu belasten, könnte die Umsiedlung im Treck geschehen. Dies wäre eine Lösung, welche propagandistisch in der Welt kaum gegen uns ausgeschlachtet werden könnte, die andererseits auch nicht den Anlaß für blöde Gerüchtemacherei in der Heimat abgibt.

Als eine weitere Lösung könnte man die restlose Asylierung der infektiösen, aussichtslosen Tuberkulösen in strenger Abgeschlossenheit ins Auge fassen. Diese Lösung würde zu einem verhältnismäßig schnellen Absterben der Kranken führen. Bei der notwendigen Zugabe von polnischen Ärzten und Pflegepersonal würde dies den Charakter eines reinen Sterbelagers in gewisser Weise abmildern.

In Ihrem Gau stehen zur Zeit folgende polnische Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung:

Heilstätten Waldrose 400 Betten
Heilstätten "Große Wiese" 300 Betten
an kleineren Anstalten 200 Betten
Leslau ab 1.1.1943 1000 Betten
insgesamt also 1900 Betten

Würde die Radikallösung, also der Weg Nr. 1, nicht in Frage kommen, dann müßten entsprechend Vorschlag 2 oder 3 die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Wir müssen uns darüber klar sein, daß unter den Kriegsverhältnissen nicht die Möglichkeiten gegeben sind, eine halbwegs ordnungsgemäße Behandlung der heilungsfähigen Tuberkulosen durchzuführen. Dazu wäre nämlich die Schaffung einer weiteren Bettenzahl von mindestens 10 000 nötig. Diese Zahl unter der Voraussetzung, daß die Aktion in einem halben Jahr durchgeführt wird.

Bei sachgemäßer Prüfung aller dieser Bedenken und Umstände erscheint als der gangbarste Weg die Errichtung eines Reservats, so wie man dieses ja auch von den Lepra-Kranken her kennt. Ein solches Reservat müßte sich auch in kürzester Zeit durch entsprechende Umsiedlung schaffen lassen. Innerhalb eines Reservats könnte man mit einfachen Mitteln auch eine strenge Isolierungsmöglichkeit für die schwer ansteckenden Tuberkulösen erstellen.

Schon die Versorgung der deutschen Tuberkulösen stellt den Gau vor außerordentlich schwierige Aufgaben. Diese können aber nicht gemeistert werden, ohne gleichzeitig das Problem der polnischen Tuberkulösen einer erfolgreichen Lösung zuzuführen.

Heil Hitler!
Ihr
gez.: Dr. Blome

Quellen:

  1. Mitscherlich/Mielke (Hrsg.), Medizin ohne Menschlichkeit, S. 232ff
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