Die Affäre Katzenberger

Ein "Angriff auf die Reinheit des deutschen Blutes"

Abschrift
Reg. f. H. V. Sg Nr. 351/41

Urteil

Im Namen des deutschen Volkes!

Das Sondergericht

für den Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth erkannte in der Strafsache gegen

K a t z e n b e r g e r Lehmann Israel, gen. Leo, Kaufmann und Vorstand der israelischen Kultusgemeinde in Nürnberg und

S e i l e r, Irene, Photogeschäftsinhaberin in Nürnberg, beide in Untersuchungshaft, wegen Rassenschande und Meineids in öffentlicher Sitzung am 13. März 1942, wobei zugegen waren:[1]

Der Vorsitzer: Landgerichtsdirektor Dr. Rothaug, die Beisitzer: Landgerichtsräte Dr. Ferber u. Dr. Hoffmann, der Staatsanwalt für das Sondergericht: Staatsanwalt Markl, und als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle: Justizsekretär Raisin

zu Recht wie folgt: Katzenberger Lehmann Israel, gen. Leo, Rasse- und Bekenntnisjude, geb. am 25. November 1873 in Maßbach, verh. Kaufmann in Nürnberg.

S e i l e r, Irene, geb. Scheffler geb. am 26. April 1910 in Guben, verh. Photogeschäftsinhaberin in Nürnberg.

beide in dieser Sache in Untersuchungshaft werden verurteilt:

Katzenberger:

wegen eines Verbrechens nach § 2, rechtlich zusammentreffend mit einem Verbrechen nach § 4 der VO. gegen Volksschädlinge in Verbindung mit einem Verbrechen der Rassenschande.

zum Tode

unter Aberkennung der in §§ 32-34 des StGB bezeichneten Rechte auf Lebenszeit.

Seiler: wegen eines Verbrechens des Zeugenmeineides

zur Zuchthausstrafe von zwei Jahren

unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zwei Jahren.

Drei Monate der erlittenen Untersuchungshaft werden auf die Strafe der Angeklagten Seiler angerechnet.

Die Angeklagten tragen die Kosten.

Gründe:

I.

1.) Der Angeklagte Katzenberger ist staatsangehöriger Volljude; er gehört der jüdischen Religionsgemeinschaft an.

Nach der Abstammungsseite ergibt ein Auszug aus dem GeburtsRegister für die jüdische Gemeinde in Maßbach, daß der Angeklagte am 25. November 1873 als Sohn des Handelsmannes Louis David Katzenberger und seiner Ehefrau Helene, geb. Adelberg, geboren wurde. Der am 30. Juni 1838 in Maßbach geborene Vater des Angeklagten war nach einem Auszug aus der Judematrikel Thundorf der eheliche Sohn des Kunstwebers David Katzenberger und seiner Ehefrau Karoline Lippig; die am 14. Juni 1847 in Aschbach geborene Lena Adelberg - Mutter des Angeklagten - war nach einem Auszug aus der Geburtsmatrikel der israelitischen Kultusgemeinde Aschbach die eheliche Tochter des Händlers Adelberg Lehmann und seiner Ehefrau Lea. Die Eltern des Angeklagten wurden ausweislich eines Auszuges aus der Judenmatrikel Thundorf am 3. Dezember 1867 vom Distriktsrabbiner in Schweinfurt verehelicht. Die Großeltern des Angeklagten väterlicherseits schlossen nach einem Auszug aus der Judenmatrikel Thundorf am 3. April 1832 in Werneck die Ehe; die Großeltern mütterlicherseits verehelichten sich nach einem Auszug aus dem Trauregister der israel. Kultusgemeinde Aschbach am 14. August 1836.

Dem Auszug aus dem Trauregister der israelitischen Kultusgmeinde Aschbach über die Eheschließung der Großeltern mütterlicherseits ist zu entnehmen, daß die im Jahr 1809 in Aschbach geborene Bela = Lea Seemann der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat. Nach der Bekenntnisseite geben die erwähnten Abstammungsurkunden keine weiteren Auskünfte darüber, daß Eltern- oder Großelternteile sich zu dem mosaischen Glauben bekannt haben.

Der Angeklagte selbst erklärt, daß er mit Sicherheit sagen könne, daß alle seine 4 Großelternteile dem mosaischen Glauben angehört haben. Seine Großmütter habe er noch persönlich gekannt; die beiden Großväter seien auf jüdischen Friedhöfen beerdigt. Ebenso wie er selbst, gehörten seine beiden Eltern der mosaischen Religionsgemeinschaft an.

Das Gericht sieht keinen Anlaß, in die Richtigkeit dieser bestimmten Angaben, die durch die vorliegenden Auszüge aus ausschließlich Judenmatrikeln voll gestützt werden, Zweifel zu setzen. Trifft es aber zu, daß alle 4 Großelternteile dem mosaischen Glauben angehört haben, so gelten die Großeltern nach der Beweiserleichterungsvorschrift im § 5 Abs. 1 in Verb. mit § 2 Abs. 2 S. 2 der VO. zum ReichsBG. v. 14. Nov. 1935 - RGBL I, S. 1333 - als Volljuden. Danach ist der Angeklagte selbst Volljude im Sinne des Blutschutzgesetzes. Daß er selbst dieser Überzeugung gewesen ist, ergibt seine eigene Einlassung.

Der Angeklagte Katzenberger kam im Jahre 1912 nach Nürnberg. Hier betrieb er zusammen mit seinen Brüdern David und Max bis zum November 1938 einen Schuhhandel. Seit 1906 ist der Angeklagte verheiratet, er hat 2 Kinder im Alter von 30 und 34 Jahren.

Dem Angeklagten und seinen Brüdern David und Max gehörte bis zum Jahre 1938 das Anwesen Spittlertorgraben Nr. 19 in Nürnberg; im Hofgebäude des Anwesens waren Büro- und Lagerräume eingerichtet, das Hauptgebäude an der Straße dient als Wohnhaus mit mehreren Stockwerkwohnungen.

Im Jahre 1932 kam die Mitangeklagte Irene Seiler als Mieterin in das Haus Spittlertorgraben Nr. 19 in Nürnberg; seitdem ist der Angeklagte Katzenberger mit ihr bekannt.

2. Die Irene Seiler, geborene Scheffler, ist deutsche Staatsangehörige deutschen Blutes.

Ihre Abstammung ist durch Urkunden über alle 4 Großelternteile belegt; sie selbst, ihre Eltern und alle Großelternteile gehören dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis an. Diese Feststellung nach der Bekenntnisseite beruht auf den vorliegenden Geburts- und Heiratsurkunden der Familie Scheffler, die zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden. Nach der Abstammungsseite hin kann folglich an der Deutschblütigkeit der Irene Seiler, geh. Scheffler, kein Zweifel bestehen.

Der Angeklagte Katzenberger war davon, daß Irene Seiler deutschen Blutes und deutsche Staatsangehörige ist, überzeugt.

Irene Scheffler heiratete am 29. Juli 1939 den Handelsvertreter Johann Seiler. Die Ehe blieb bisher kinderlos.

Die Angeklagte besuchte in ihrem Geburtsort Guben Lyzeum und Realschule bis zur Unterprima; anschließend in Leipzig 1 Jahr die staatliche Akademie für Kunst- und Buchgewerbe.

Im Jahre 1932 kam sie nach Nürnberg; hier war sie in der photographischen Werkstätte ihrer Schwester Hertha, die diese seit dem Jahre 1928 als Mieterin im Hause Spittlertorgraben 19 unterhielt, tätig. Am 1. Januar 1938 übernahm sie das Geschäft ihrer Schwester selbstständig auf eigene Rechnung. Am 24. Februar 1938 legte sie die Meisterprüfung ab.

3. Dem Angeklagten Katzenberger liegt zur Last, fortgesetzt als Jude mit der Irene Seiler, geb. Scheffler, einer Staatsangehörigen deutschen Blutes, außerehelichen Verkehr gepflogen zu haben; er soll bis März 1940 sehr oft in die Wohnung der Seiler im Hause Spittlertorgraben gekommen sein und bis zum Herbst 1938 sehr oft die Besuche der Seiler in den im Hinterhaus des Anwesens befindlichen Geschäftsräumen empfangen haben. Die Seiler, die durch Annahme von Geldgeschenken und langfristige Stundung der Monatsmieten in eine starke Abhängigkeit zu dem Angeklagten Katzenberger nach und nach gekommen sei, sei dem Katzenberger in geschlechtlicher Hinsicht zugänglich gewesen. So sei es zwischen beiden zu geschlechtlicben Annäherungen aller Art, insbesondere auch zu Geschlechtsverkehr gekommen. Beide sollen sich, bald in der Wohnung der Seiler bald in den Geschäftsräumen des Katzenberger gegenseitig geküßt haben. Seiler habe sich sehr oft dem Katzenberger auf den Schoß gesetzt; hierbei soll Katzenberger die Seiler in der Absicht, sich dadurch eine geschlechtliche Befriedigung zu verschaffen, über den Kleidern an den Oberschenkeln getätschelt und gestreichelt haben. Bei solchen Gelegenheiten habe sich Katzenberger eng an die Seiler angeschmiegt und hierbei seinen Kopf an den Busen der Seiler gelegt.

Dem Angeklagten Katzenberger liegt zur Last, diese Rassenschande unter Ausnützung der Kriegslage begangen zu haben; der Mangel an Aufsichtskräften sei ihm zustatten gekommen, umsomehr, als er seine Besuche bei der Seiler im Schurze der Verdunkelung ausgeführt habe. Zudem sei der Ehemann Seiler zur Wehrmacht eingezogen, so daß auch Überraschungen durch den Ehemann ausgeschlossen gewesen seien.

Der Angeklagten Irene Seiler liegt zur Last, gelegentlich ihrer Einvernahme durch den Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Nürnberg am 9. 7. 1941 bewußt der Wahrheit zuwider angegeben und mit einem Eide bekräftigt zu haben, diesen Annäherungen hätten jegliche geschlechtliche Beweggründe gefehlt, insbesondere glaube sie, daß dies auch bei Katzenberger der Fall gewesen sei.

Seiler soll sich hierdurch des Zeugenmeineids schuldig gemacht haben.

Die Angeklagten führen zu ihrer Verteidigung an:

Die Augeklagte S e i l e r : Als sie im Jahre 1932 im Alter von 22 Jahren in die photographische Werkstätte ihrer Schwester nach Nürnberg gekommen sei, sei sie auf sich selbst gestellt gewesen; ihre Schwester Hertha sei nach Guben zurückgekehrt und habe dort ein Atelier eröffnet. Ihr Vater habe sie an den Vermieter, den Angeklagten Katzenberger empfohlen, diesen gebeten, auf sie ein fürsorgliches Augenmerk zu haben und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. So sei sie mit dem Juden Katzenberger näher bekannt geworden.

In der Folgezeit sei Katzenberger auch tatsächlich ihr Berater geworden; insbesondere sei er ihr in ihrer mißlichen finanziellen Lage helfend zur Seite gestanden. In ihrer Freude über die ihr seitens Katzenberger erwiesene Freundschaft und Güte habe sie nach und nach in ihm nur noch den väterlichen Freund gesehen; es sei ihr gar nicht mehr zum Bewußtsein gekommen, daß sie in Katzenberger einen Juden vor sich habe. Es sei richtig, daß sie im Schuhlager des Katzenberger im Hinterhalt ein- und ausgegangen sei; wenn sie dies nach Büroschluß getan habe, so deshalb, weil sie dann Schuhe habe besser aussuchen können. Auch sei es vorgekommen, daß sie dem Katzenberger bei solchen Besuchen und beim Verweilen des Katzenberger in ihrer Wohnung gelegentlich mal einen Kuß gegeben und zugelassen habe, daß Katzenberger sie küßte. Hierbei habe sie sich auch öfters dem Katzenberger auf den Schoß gesetzt; das sei so ihre Art, da denke sie sich nichts dabei. Keineswegs sei etwa in geschlechtlichen Beweggründen der Ausgangspunkt für ihr Handeln zu suchen. Sie habe stets auch angenommen, daß Katzenberger keine anderen als nur fürsorglich väterliche Gefühle zu ihr beherrschen.

Auf diese Annahme gestützt, habe sie am 9. Juli 1941 dem Ermittlungsrichter die mit ihrem Eid bekräftigte Aussage gemacht, daß sie glaube, daß die ausgetauschten Zärtlichkeiten auch bei Katzenberger keinen erotischen Gefühlen entsprungen seien.

Der Angeklagte K a t z e n b e r g e r : Er will sich nicht strafbar gemacht haben. Er schützt vor, nur sehr freundschaftlich mit Frau Seiler Umgang gepflogen zu haben; die Familie Scheffler in Guben habe sein Verhältnis zur Frau Seiler auch nur als weitestgehend freundschaftlich gewertet.

Wenn er über die Jahre 1933, 1935 und 1938 hinaus seinen Umgang mit Frau Seiler fortgesetzt habe, so sei dies vielleicht nach der Auffassung der NSDAP ein Unrecht; die Tatsache der Fortführung sei aber ein Zeichen für sein gutes Gewissen.

Nach der Judenaktion im Jahre 1938 seien zudem die Zusammenkünfte seltener geworden. Nach der Verehelichung der Frau Seiler im Jahre 1939 sei auch der Ehemann Seiler oftmals überraschend nach Hause gekommen, als er Katzenberger - bei der Frau Seiler in der Wohnung anwesend gewesen sei. Niemals habe jedoch der Ehemann Seiler ihn in einer verfänglichen Situation mit seiner Frau angetroffen. Im Januar oder Februar 1940 sei er auf Wunsch des Ehemannes Seiler zweimal in die Wohnung der Seiler gekommen, um den Eheleuten bei der Abgabe von Steuererklärungen behilflich zu sein. Die letzte Unterredung in der Wohnung der Eheleute Seiler habe er im März 194o geführt. Damals habe Frau Seiler ihm nahegelegt, die Besuche wegen der ihr seitens der NASDAP gemachten Vorhalte einzustellen; in Gegenwart ihres Mannes habe Frau Seiler ihm zum Abschied einen Kuß gegeben.

Irgendwelche erotische Absichten habe er bei Frau Seiler niemals befolgt. Deshalb könne er auch keine Kriegslage und keine Verdunkelung ausgenützt haben.

II.

Das Gericht hat die Ausflüchte des Angeklagten Katzenberger und die Einschränkungen, mit denen die Angeklagte SeiIer ihre Zugeständnisse abzuschwächen versucht hat, wie folgt gewürdigt:

Als die Angeklagte Seiler im Jahre 1932 nach Nürnberg übersiedelte, war sie im Alter Von 22 Jahren ein vollaufgewachsenes, geschlechtsreifes Mädchen. Sie zeigte sich auch nach ihren eigenen, insoweit glaubhaften Angaben im Umgang mit Freunden geschlechtlicher Hingabe nicht unzugänglich.

In Nürnberg trat sie als Nachfolgerin ihrer Schwester in der photographischen Werkstätte im Anwesen Spittlertorgraben Hs. Nr. 19 in den Bannkreis des Angeklagten Katzenberger. Im Umgang mit diesem ließ sie sich innerhalb eines Zeitraumes von fast zehn Jahren nach und nach zum Austausch von Zärtlichkeiten herbei, wobei, - nach dem Geständnis beider Angeklagten - Situationen geschaffen wurden, die keineswegs als Auswirkungen nur väterlicher Freundschaft gewertet werden können. Seiler setzte sich oft bei Zusammenkünften mit Katzenberger, sei es in dessen Geschäftsräumen im Hinterhaus, sei es in ihrer Wohnung, dem Katzenberger auf den Schoß und küßte ihn unbestritten auf Mund und Wangen. Bei diesen Gelegenheiten erwiderte Katzenberger, wie er zugibt, diese Zärtlichkeiten mit eigenen Küssen, schmiegte seinen Kopf an den Busen der Seiler und tätschelte und streichelte deren Oberschenkel über den Kleidern ab.

Die Annahme, diese zugegebenen wechselseitig getauschten Zärtlichkeiten seien bei Katzenberger der Ausdruck nur väterlicher Empfindungen, bei der Seiler nur stark gefühlsbetonte Handlungen aus kindlichem Gefühl gewesen, die sich aus der Situation unwillkürlich ergeben hätten, widerspricht jeder Erfahrung des täglichen Lebens. Die Ausflüchte der Angeklagten nach dieser Richtung erachtet das Gericht als nichts anderes, als den plumpen Versuch, die geschlechtsbetonten Handlungen auf das Gebiet des Gemütes, frei von jeder Geschlechtslust abzuschieben. Das Gericht hat in Ansehung der Persönlichkeit der beiden Angeklagten und auf Grund der Beweisaufnahme die sichere Überzeugung gewonnen, daß in geschlechtlichen Beweggründen der Ausgangspunkt für die Zärtlichkeiten der beiden Angeklagten zu suchen ist.

Seiler befand sich meist in finanziellen Schwierigkeiten. Katzenberger nahm diesen Umstand zum Anlaß, der Seiler häufig Geldgeschenke zu machen; er gab ihr wiederholt Geldbeträge von einer bis zu zehn Reichsmark. Außerdem stundete er ihr in seiner Eigenschaft als Hausverwalter des Anwesens, in dem die Seiler wohnte und das der Firma, bei der er Teilhaber war, gehörte, die geschuldeten Mieten sehr lange. Vielfach schenkte Katzenberger der Seiler Zigaretten, Blumen und Schuhe.

Die Angeklagte Seiler räumt auch ein, daß sie durchaus darauf bedacht war, sich die Gunst des Katzenberger, mit dem sie sich duzte, zu erhalten.

Nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen boten beide Angeklagte ihrer näheren Umwelt vornehmlich der Hausgemeinschaft im Anwesen Spittlertorgraben Nr. 19 das Gesamtlebensbild eines intimen Verhältnisses.

Von den Zeugen Kleylein Paul und Babette, Mäsel Johanna, Heilmann Johann und Leibner Georg wurde wiederholt beobachtet, daß Katzenberger und Seiler sich gegenseitig zuwinkten, wenn Seiler von einem nach dem Rückgebäude zu gelegenen Fenster ihrer Wohnung den Katzenberger in seinen Büroräumen sah. Den Zeugen waren die beobachteten häufigen Besuche der Seiler in den Geschäftsräumen des Katzenberger nach Geschäftsschluß und auch Sonntags sowie das längere Verweilen dort besonders auffallend. Die Tatsache, daß Seiler den Katzenberger stets um Geld anging, war im Laufe der Jahre der ganzen Hausgemeinschaft bekanntgeworden; es bildete sich auf Grund dieser Wahrnehmungen die Überzeugung, daß Katzenberger als jüdischer Gläubiger diese Zwangslage der deutschblütigen Frau Seiler geschlechtlich ausnütze, wobei der Zeuge Heilmann gelegentlich einer Unterhaltung mit dem Zeugen Paul Kleylein diese seine Auffassung in den Worten ausdrückte, der Jude könne das gegebene Geld bei der Seiler billig abarbeiten.

Beide Angeklagten faßten auch selbst die gegenseitigen Besuche und wechselseitigen Zärtlichkeiten keineswegs nur so als gelegentliche Harmlosigkeiten des alltäglichen Lebens auf.

Nach den Bekundungen der Zeugen Kleylein Babette und Paul beobachteten diese, daß Katzenberger sich sichtlich erschrocken zeigte, als er wahrnahm, daß von diesen Zeugen sein Verweilen in der Wohnung der Seiler noch im Jahre 1940 entdeckt wurde. Die Zeugen beobachteten auch, daß Katzenberger sich in der letzten Zeit mehr in die Wohnung der Seiler schlich, als unbekümmert einging.

Im August 1940 mußte die Angeklagte Seiler sich gefallen lassen, daß gelegentlich eines Fliegeralarms im Luftschutzraum ihr der Hauseinwohner Oestreicher in Gegenwart der übrigen Hausbewohner auf eine Anrede erwiderte: "Du Judenmensch, Dir helfe ich noch!" Seiler veranlaßte zu ihrer Verteidigung gegen diesen Vorwurf in der Folgezeit nichts; sie nahm nur Veranlassung, den Vorfall kurz darauf dem Katzenberger zu berichten. Seiler ist jede auch war einigermaßen glaubhafte Angaben darüber schuldig geblieben, warum sie gegenüber solch stärkster Verdachtsäußerung so auffallende Zurückhaltung geübt hat. Mit dem Hinweis allein, daß ihr über 70 Jahre alter Vater ihr von einem Vorgehen gegen Oestreicher abgeraten habe, kann bei der Schwere des in aller Öffentlichkeit erhobenen Vorwortes ihre Zurückhaltung nicht verständlich gemacht werden.

Nach den Darlegungen des Zeugen Krim.Ob.Ass. Haus Zeuschel ist es auch nicht so, daß beide Angeklagten auf Vorhalt die geschaffenen sexuellen Situationen gleich von Anfang an als Harmlosigkeiten zugegeben haben. Daraus, daß Seiler erst nach eindringlichen Vorhalten nähere Zugeständnisse über ihre dem Katzenberger erwiesenen Zärtlichkeiten machte, und daraus, daß Katzenberger gelegentlich seines Beschuldigtenverhörs bei der Polizei erst dann mit der Sprache herausrückte, als ihm die Angaben der Seiler vorgehalten wurden, muß gefolgert werden, daß beide ihre Handlungen, wegen deren sie sich verantworten sollten, doch als wert erachteten, geheimgehalten zu werden. Nach diesem Sachzusammenhang ist das Gericht der Überzeugung, daß die von den beiden Angeklagten abgegebenen Erklärungen nichts anderes sind, als nur Zugeständnisse aus Gründen der Zweckmäßigkeit dazu bestimmt, eine durch Zeugenaussagen erhärtete Situation zu entgiften und zu verharmlosen.

Seiler hat auch zugegeben, daß de ihrem Ehemann keineswegs die vor ihrer EheschlieBung mit Katzenberger ausgetauschten Zärtlichkeiten geoffenbart habe; sie habe nur berichtet, daß Katzenberger ihr schon viel geholfen habe. Nach ihrer im Juli 1939 erfolgten Eheschließung habe sie auch nur einmal in Gegenwart ihres Mannes dem Katzenberger einen "Freundschaftskuß" auf die Wange gegeben; im übrigen habe man es vermieden, sich gegenseitig im Beisein des Ehemannes Seil zu küssen.

Das Gericht ist auf Grund des wiederholt charakterisierten Verhaltens der Angeklagten zueinander davon überzeugt, daß es sich bei dem l0 Jahre lang gepflogenen Verhältnis des Katzenberger zur Seiler um Beziehungen ausschließlich geschlechtlicher Natur handelte. Nur so kann deren vertrauter Umgang erklärt werden. Bei der Unmenge von verführerischen Gelegenheiten kann kein Zweifel bestehen, daß der Angeklagte Katzenberger mit der Seiler in fortgesetzter Geschlechtsverbindung stand. Die gegenteiligen Behauptungen des Katzenberger, er habe kein geschlechtliches Interesse an der Seiler gehabt, hält das Gericht für unwahr; die den Angeklagten Katzenberger in seiner Verteidigung unterstützenden Angaben der Angeklagten Seiler erachtet das Gericht jeder Lebenserfahrung widersprechend, sie sind offenbar in der Absicht gemacht, den Angeklagten Katzenberger der Strafe zu entziehen.

Das Gericht ist deshalb überzeugt, daß Katzenberger mit der Seiler nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze bis zum März 1940 an nicht mehr feststellbaren Tagen und in nicht bestimmter Zahl wiederholt Geschlechtsverkehr hatte.

Unter außerehelichem Geschlechtsverkehr im Sinne des Blutschutzgesetzes ist neben dem Beischlaf jede Art geschlechtlicher Betätigung mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts zu verstehen, die nach der Art ihrer Vornahme bestimmt ist, anstelle des Beischlafs der Befriedigung des Geschlechtstriebes mindestens des einen Teiles zu dienen. Die von den Angeklagten zugegebenen Handlungen, die bei Katzenberger darin bestanden, daß er die Seiler an sich heranzog, küßte, an den Schenkeln über den Kleidern tätschelte und streichelte, charakterisieren sich dahin, daß Katzenberger damit das an der Seiler in gröblicher Form ausgeführt hat, was der Volksmund als "Abschmieren" bezeichnet. Daß nur in geschlechtlichen Beweggründen der Ausgangspunkt für solches Handeln zu suchen ist, ist offenkundig. Hätte der Jude an der Seiler nur diese sog. "Ersatzhandlungen" vorgenommen, so hätte er schon dadurch den vollen gesetzlichen Tatbestand der Rassenschande erfüllt.

Darüber hinaus ist aber das Gericht überzeugt, daß Katzenberger, der zugegebenermaßen noch heute in der Lage ist, den normalen Beischlaf auszuüben, während der gesamten Dauer des Verhältnisses regelmäßig mit der Seiler den Beischlaf ausgeführt hat. Es ist nach der Lebenserfahrung ausgeschlossen, daß Katzenberger es im Laufe von fast 10 Jahren bei dem oft bis zu 1 Stunde währenden Zusammensein mit der Seiler es bei solchen, das Gesetz für sich allein schon erfüllenden Ersatzhandlungen hat bewenden lassen.

III.

Der Angeklagte Katzenberger ist sonach überführt, nach dem Inkrafttreten des Blutschutzgesetzes, das ist nach § 7 dieses Gesetzes nach dem 17. Sept. 1935, als Jude mit einer Staatsangehörigen deutschen Blutes außerehelichen Verkehr gepflogen zu haben. Er hat auf Grund eines einheitlichen, von Anfang an auf Wiederholung gerichteten Vorsatzes gehandelt. Katzenberger ist mithin eines - fortgesetzten Verbrechens der Rassenschande nach §§ 2 und 5 Aber II des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 schuldig zu sprechen.

Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts ergibt, daß der Angeklagte Katzenberger bei seinem Treiben darüber hinaus allgemein die außergewöhnlichen, durch den Kriegszustand verursachten Verhältnisse ausgenutzt hat. Stadt und Land sind weithin ohne Männer, die infolge ihrer Einberufung zum Heere oder für andere Zwecke der Wehrmacht verhindert, zu Hause tätig zu sein und so für Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen. Diese allgemeinen Verhältnisse, diese durch den Krieg veränderten Umstände hat sich der Angeklagte zunutze gemacht. Der Angeklagte stellte, als er seine Besuche bei der Seiler in deren Wohnung bis zum Frühjahr 1940 fortsetzte, in Rechnung, daß bei dem gegebenen Ausfall irgendwelcher eingehenderen Kontrollmaßnahmen seine Machenschaften nicht oder doch nur sehr schwer durchschaut werden können. Die durch die Einziehung des Ehemannes Seiler zum Heeresdienst veränderten häuslichen Umstände erleichterten sein Treiben.

Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, ist das Verhalten des Katzenberger besonders verwerflich. In Verbindung mit dem Verbrechen der Rassenschande war er sonach auch wegen eines Verbrechens nach § 4 der VO. gegen Volksschädlinge schuldig zu sprechen. Hierbei ist zu beachten, daß die Volksgemeinschaft eines wesentlich erhöhten strafrechtlichen Schutzes gegen alle Verbrechen bedarf, die ihre innere Geschlossenheit zu zerstören oder zu zersetzen suchen.

In mehreren Fällen schlich sich der Angeklagte Katzenberger seit Kriegsausbruch 1939 nach Einbruch der Dunkelheit in die Wohnung der Seiler. In diesen Fällen wurde der Angeklagte im Schutze der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen tätig, indem er die Verdunkelung ausnutzte. Das Fehlen der in Friedenszeiten vorhandenen helleuchtenden Straßenbeleuchtung am Straßenzug des Spittlertorgrabens gab dem Angeklagten größere Sicherheit. Diesen Umstand nützte er jedesmal in voller Erkenntnis seiner Bedeutung aus; instinktiv entzog er sich bei seinen Unternehmungen so der Beobachtung durch die Straßenbenutzer.

Die im Schutze der Verdunkelungsmaßnahmen ausgeführten Besuche des Katzenberger bei der Seiler dienten mindestens dazu, das Verhältnis warm zu halten. Es kann dahin gestellt bleiben, ob bei diesen Besuchen auch tatsächlich außerehelicher Geschlechtsverkehr stattfand oder nur Unterhaltungen gepflogen wurden, weil der Ehemann Seiler anwesend war, wie Katzenberger geltend machte. Der Antrag auf Vernehmung des Ehemannes Seiler wurde deshalb auch abgelehnt. Das Gericht ist der Auffassung, daß die in dem einheitlichen Lebensvorgang eingeordneten zweckbestimmten Handlungen des Angeklagten ein Verbrechen gegen den Leib im Sinne des § 2 der VO. gegen Volksschädlinge darstellen. Das Gesetz vom 15. September 1935 ist erlassen zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Die Rassenschande des Juden stellt einen schweren Angriff auf die Reinheit des deutschen Blutes dar, der rassenschändende Angriff ist gegen den Leib der deutschen Frau gerichtet. Das allgemeine Schutzbedürfnis läßt insoweit das Verhalten des anderen an der Rassenschande Beteiligten, aber nicht strafbaren Teiles unbeachtlich erscheinen. Daß der rassenschänderische Verkehr der Angeklagten noch bis mindestens 1939/1940 gepflogen wurde, ergibt die von dem Zeugen Zeuschel bekundete Tatsache, daß die Angeklagte Seiler wiederholt und immer gleichbleibend zugegeben hat, daß sie Ende 1939, Anfang 1940 sich dem Juden auf den Schoß gesetzt und die dargelegt Zärtlichkeiten ausgetauscht hat.

Mithin hat sich der Angeklagte auch nach § 2 der Verordnung gegen Volksschädlinge verfehlt.

Der Angeklagte ist auch nach seiner Persönlichkeit ein Volksschädling; sein seit vielen Jahren ausgeführtes rasseschänderisches Treiben wuchs sich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand geschaffenen Gesamtlage zu volksfeindlicher Einstellung aus, zu einem Angriff gegen die Sicherheit der Volksgemeinschaft in der Kriegsgefahr.

Daher war der Angeklagte Katzenberger in Verbindung mit einem Verbrechen der Rassenschande wegen eines Verbrechens nach § 2 und § 4 der VO. gegen Volksschädlinge in rechtlichem Zusammentreffen nach § 73 StGB zu verurteilen.

Die Angeklagte Seiler hat nach der Überzeugung des Gerichts erkannt, daß die seitens Katzenberger mit ihr fortlaufend vorgenommene Betätigung eine geschlechtliche Betätigung gewesen ist; das Gericht ist überzeugt, daß Seiler sich dem Katzenberger zum Geschlechtsverkehr hingegeben hat. Demnach war der von ihr abgegebene Zeugeneid wissentlich und gewollt falsch, sie hat sich eines Verbrechens des Meineids nach §§ 154, 153 StGB. schuldig gemacht.

IV.

Bei der Strafbemessung haben das Gericht folgende Erwägungen bestimmt:

Die nationalsozialistische politische Lebensform des deutschen Volkes hat ihre Grundlage im Gemeinschaftsleben. Eine Grundfrage dieses völkischen Gemeinschaftslebens ist die Rassenfrage. Die Rassenschande im Verkehr des Juden mit einer deutschen Frau schändet die deutsche Rasse, stellt einen schweren Angriff auf die Reinheit des deutschen Blutes im rassenschändenden Angriff auf die deutsche Frau dar. Das Schutzbedürfnis ist ein besonders großes.

Katzenberger unterhält sein rassenschänderisches Treiben seit Jahren. Er kannte den Standpunkt des völkisch empfindenden deutschen Menschen in der Rassenfrage genau, er war sich bewußt, daß er mit seinem Verhalten dem völkischen Empfinden des deutschen Volkes ins Gesicht schlug. Weder die nationalsozialistische Revolution 1933, noch der Erlaß des Blutschutzgesetzes 1935, weder die Judenaktion 1938, noch der Kriegsausbruch 1939 bewirkten bei ihm eine Umkehr.

Das Gericht erachtet es für geboten, als einzige mögliche Antwort auf die Frivolität des Angeklagten gegen ihn die in Anwendung des § 4 der VO. gg. Volksschädlinge vorgesehene schwerste Strafe, die Todesstrafe auszusprechen. Insoweit der Angeklagte in Verbindung mit dem Verbrechen der Rassenschande auch wegen eines Verbrechens nach § 2 der Volksschädlings VO. zu verurteilen war, gewinnt seine Tat unter Berücksichtigung der Person des Angeklagten und der Häufung der Ausführungshandlungen das Gewicht eines besonders schweren Falles. Daher muß den Angeklagten insoweit die vom Gesetz für einen solchen Fall allein vorgesehene Todesstrafe treffen.

Der Sachverständige Medizinalrat Dr. Baut bezeichnet den Angeklagten als voll verantwortlich.

Dementsprechend erkannte das Gericht auf die Todesstrafe.

Gleichzeitig war geboten, die in §§ 32-34 des StGB bezeichneten Rechte ihm auf Lebenszeit abzuerkennen.

Bei der Bemessung der Strafe für die Angeklagte Seiler war deren Persönlichkeitsbewertung in den Vordergrund zu stellen. Seiler hat viele Jahre hindurch das schändliche Liebesverhältnis mit dem Juden Katzenberger unterhalten. Ihr schimpfliches Verhältnis wurde nicht berührt durch die völkische Erneuerung des deutschen Volkes seit dem Jahre 1933, die Verkündung des Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre am 15. September 1935 machte keinen Eindruck auf sie. Die Tatsache, daß sie im Jahre 1937 Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt hat und die Parteigenossenschaft erwarb, bedeutet in diesem Zusammenhang eine frivole Herausforderung.

Als mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Katzenberger dem deutschen Volk für den rasseschändenden Angriff des Juden Genugtuung gebracht werden sollte, ignorierte die Angeklagte Seiler die allgemeinen Belange der mißachteten Staatsautorität sowie die Volksinteressen vollständig; sie stellte sich schützend vor den Juden.

Unter Berücksichtigung dieser gesamten Umstände erachtete das Gericht eine Zuchthausstrafe von vier Jahren von der Angeklagten an und für sich da verwirkt.

Strafermäßigend kommt in Betracht, daß die Angeklagte jedoch im Eidesnotstand ihr wissentlich falsches Zeugnis mit einem Eid bekräftigt hat; die Angabe der Wahrheit konnte gegen sie eine Verfolgung wegen Ehebruchs und Begünstigung nach sich ziehen. Das Gericht ermäßigte deshalb die an sich verwirkte Strafe auf die Hälfte und erkannte auf zwei Jahre Zuchthaus als schuldangemessene Strafe. § 157 Abs. 1 Nr. i StGB.

Wegen der durch die Tat erwiesene Ehrlosigkeit mußten ihr auch die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt werden. Es ist dies auf die Dauer von zwei Jahren geschehen.

Anrechnung der Untersuchungshaft: § 60 StGB.

Kostenentscheidung: § 465 StPO.

gez. Rothaug Dr. Ferber Dr. Hoffmann

Zur Beglaubigung:

Nürnberg, den 23. März 1942

Der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle des Sondergerichts für den Bezirk des
Oberlandesgerichtes Nürnberg bei dem
Landgericht Nürnberg-Fürth
gez. Unterschrift Justiz-Inspektor

[Stempel:]
Landgericht
Nürnberg-Fürth


Eidesstattliche Erklärung

Ich, Dr. Karl Ferber, Landgerichtsdirektor a. D., Nürnberg, erkläre hiermit an Eidesstatt:

1.) Mit dem Fall Katzenberger wurde ich zum erstenmal bekannt, als der Staatsanwalt Markl etwa Ende Juli oder Anfang August 1941 gegen Katzenberger wegen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz vom 15.9.1935 Anklage zur Strafkammer erhoben hatte. Nach meiner Erinnerung war nur Katzenberger allein angeklagt, nicht auch Seiler wegen Meineids. Über die Haftbeschwerde Katzenbergers sollte entschieden werden im Zusammenhang mit der Eröffnung des Hauptverfahrens. Demnach stand also die rechtliche Prüfung bevor, ob das Verfahren gegen Katzenberger auszusetzen sei, bis im Wege eines ordentlichen Strafkammerverfahrens die Zwischenfrage beantwortet ist ob Seiler sich eines Meineids schuldig gemacht habe oder nicht.

2.) Noch bevor ich dazu kam, überhaupt eine Sachentscheidung der 4. Strafkammer im Falle Katzenberger herbeizuführen, hat an demselben Tag Staatsanwalt Markl bei mir die Anklage zurückgenommen. Auf meine Frage, warum, erklärte mir Markl

a) diese Zurücknahme sei keine Weisung des Ministeriums, sondern

b) die Forderung Rothaugs weil

c) von Rothaug angenommen sei, eine Sonderdiskriminierung des Katzenberger nach der VSchädl. VO. vorzunehmen.

d) Rothaug hat sodann die Haftbeschwerde des Katzenberger verworfen; dies erfuhr ich durch Zurückgabe einer von mir dem Verteidiger Herz zuvor behändigten Sprechkarte.

3.) Als bei Rothaug in jenen Tagen zum erstenmal die Sprache auf den Fall Katzenberger kam, machte ich sofort meine Bedenken wegen der Hereinnahme der VSchädl. VO. geltend.

a) im Schrifttum war zu jener Zeit heftig umstritten, ob ehewidriges Verhalten - Ehebruch - mit der Frau eines Frontsoldaten unter Anwendung der VSchädl. VO. als Verbrechen bestraft werden könne.

Die Frage wurde grundsätzlich verneint.

b) Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Meineidssache Seiler durch die zuständige Strafkammer zuerst entschieden werden müsse.

4.) Rothaug proklamierte sofort mit aller ihm eigenen Fertigkeit:

a) diese Tat Katzenberger liegt im Bereich der Gesamtheit des Volkes, d.h. hier ist "nach gesundem Volksempfinden" (und das war abgeleiteter Führerbefehl) eine Volksschädlingstat gegeben, im Gegensatz zu sonstigen ehebrecherischen Beziehungen eines Deutschen zur Frau eines Frontsoldaten;

b) daß in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Ministeriums ihn nicht interessieren könne, sei selbstverständlich. Der Gesamteindruck, der durch die Redensarten Rothaugs, mit denen er eine Strafsache für das Sondergericht hier als gegeben darstellte, vermittelt wurde, war folgender:

Rothaug stellte darauf ab, den Fall Katzenberger in Vergleich zu bringen zu der grundsätzlichen staatspolizeilichen Sonderbehandlung der Polen und poln. Juden, die in irgendwie geschlechtlich geartete Verbindungen mit Deutschen traten.

"Der Sektor Justiz (eine beliebte Rothaugsche Bezeichnung) hat hier eine Aufgabe, die politisch zu lösen ist."

In diesen Zusammenhängen veranlaßte Rothaug auch die Durchfühung eines Meineidverfahrens gegen Seiler als Sondergerichtssache und erließ einen Haftbefehl gegen Seiler.

5.) Die Erhebungen wegen des Verdachts des Meineids i. R. gegen Seiler verzögerten sich. Deshalb kam auch die Anklage gegen Katzenberger und gegen Seiler Zum Sondergericht etwa erst im Februar 1942 in Einlauf.

Ich erinnere mich, daß von einer "Großaufnahme" im Sitzungssaal 600 gesprochen wurde, wobei Rothaug eine Befriedigung darüber anzumerken war, daß ihm dieser Fall zur Behandlung zustand.

Markl war - wie er mir s. Zt. sagte - von seinem Behördenleiter Schroeder eröffnet worden, daß er einen Rothaugs Forderungen entsprechenden Antrag in der Sitzung vertreten solle.

6.) Die Veränderung der Zuständigkeit - von Strafkammer zum Sondergericht - war also veranlaßt durch Rothaug,

die Erweiterung der Anklage gegen Seiler zum Sondergericht beruhte auf einer Forderung Rothaugs;

die Verbindung der beiden Verfahren zu einer Verhandlung entsprach dem Verlangen Rothaugs.

Nachdem die Sache bei Rothaug anhängig war, wurde von ihm eine besondere Betriebsamkeit entwickelt. Der SD und die Gauleitung zeigten sich durch Telefonanrufe auffällig häufig interessiert. Ich erfuhr, daß es sich um die Vorbereitung der Sitzung in größtem Rahmen handelte. In Gesprächen gab Rothaug der Sache eine politische Umrahmung durch schärfste Formulierung.

7.) Zur Sitzung i. SS. 600 erschienen die politischen Stellen in bedeutender Aufmachung. Rothaug war es gelungen, auch die Anwesenheit des Reichsinspekteurs Oexle zur Sitzung zu erreichen. Ich erinnere mich, daß Karten zur Sitzung ausgegeben wurden und daß ein Bestand von "reservierten Plätzen" Herrn Rothaug für die Partei zur Verfügung zu stellen war.

Die Bemühungen Rothaugs waren erkennbar darauf abgestellt, unter dem Schein des Rechts einen Vorwand zu geben und die Voraussetzung zu schaffen, Katzenberger als Juden zu vernichten.

8.) Die Hauptverhandlung wurde von Rothaug dazu benutzt, den Zuhörern eine nat. soz. Lektion zum Thema der sog. Judenfrage zu erteilen. Angeklagte und Zeugen wurden als Ausfrage-Objekte das Mittel zu diesem Zweck. Was Rothaug im einzelnen alles vorgetragen hat, weiß ich nicht mehr. Es ist bei mir der Eindruck haften geblieben, daß es sich um sattsam bekannte allgemeine Redensarten nach "Stürmer-Façon" gehandelt hat. Rothaug als Verhandlungsleiter redete und redete immer wieder, indeß die Zeugen das Wenige, das sie überhaupt zur Sache zu sagen wußten, damit bekundeten, daß sie auf entsprechenden Vorhalt ihre Aussagen bei der Polizei wiederholten. Hierbei war den Zeugen anzumerken, wie sehr sie unter dem Zwang der Situation standen, der ihnen dadurch auferlegt war, daß sie in einen groß angelegten Schauprozeß hineingestellt wurden.

Nach Form und Inhalt seiner Verhalte an Angeklagte und Zeugen während der Verhandlung verwirklichte Rothaug die NSProgrammforderung der rücksichtslosen Judenbekämpfung im Dienste des Reichssicherheitshauptamtes. Jedem aufmerksamen, politisch unverbildeten Zuhörer - auch die Behördenchefs der Nürnberger Gerichte waren anwesend - mußte klar werden, daß hier im Falle Katzenberger formelles Recht im Dienste politischer Gewalten sich durch den Mund Rothaugs kundgab. Die Bewertung des Sachverhalts im Sinne einer Urteilsfindung griff Rothaug während der Dauer der Beweisaufnahme durch seine eigene Meinungsäußerung ständig vor. Dadurch bereitete er den Boden, der ein anderes Urteil als ein Todesurteil gegen Katzenberger gar nicht mehr erwarten ließ.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme war Pause, in der der Sitzungsstaatsanwalt Markl im Beratungszimmer erschien, um sich bei Rothaug zu vergewissern, daß von ihm als Antrag des Staatsanwalts gegen Katzenberger die Todesstrafe u. gegen Seiler eine Zuchthausstrafe - über die Höhe wurde auch gesprochen - erwartet werde. Mit Rücksicht auf die im Sitzungssaal anwesende Parteiführerschaft hielt Rothaug es auch für geboten, Markl einige Andeutungen zu machen, mit welchen wesentlichen Hinweisen er seine Ausführungen ausstatten solle.

9.) Die Prozeßvorbereitung und die Verhandlungsleitung durch Rothaug bedeuteten nach Form und Inhalt eine Vergewaltigung meiner freien richterlichen Entschließung als Beisitzer. Es war deutlich geworden, wie stark Rothaug als Willensvollstrecker für den Vernichtungswillen der Parteiinstanzen aufzutreten, gesonnen war.

Ich habe während der Beratung nicht versäumt, erneut wiederholt darauf hinzuweisen, daß es mir nicht zusage, daß vor der Hauptverhandlung in einer so wichtigen Sache die Akten dem Reichsjustizministerium noch nicht in Vorlage gebracht waren. Ich unterstrich mit diesem Hinweis meine von Anfang an geltend gemachten rechtlichen Bedenken gegen eine Beständigkeit einer Verurteilung nach der VoIksschädlingsverordnung und meine Bedenken wegen der ungewöhnlichen Verbindung des Verfahrens gegen Seiler mit dem Verfahren gegen Katzenberger. Ich machte darauf aufmerksam, daß die Möglichkeit einer Rechtsanwendung nach der Volksschädlings VO. auf den festgestellten Sachverhalt über den Fall waren Rothaug ja diese Bedenken hinlänglich bekannt.[sic!]

Meine Hinweise genügten, um Rothaugs schärfsten Widerspruch herauszufordern. "Ein Meineidsverfahren gegen Seiler vor der zweiten oder dritten Strafkammer hätte doch die ganze Sache in den Dreck gefahren," "nach den Meinungen des Ministeriums haben wir uns nicht zu richten."

10.) Mit dem Abschluß der Verhandlungen ließ Rothaug nicht davon ab, auf den ferneren Gang der zu treffenden Entscheidungen einzuwirken.

Das Reichsjustizministerium forderte fernmündlich nach Bekanntgabe der Entscheidung die Akten zur Überbringung durch Sonderboten an. Deshalb mußte das Urteil mit besonderer Eile niedergeschrieben werden, wobei die von Rothaug zur mündlichen Urteilsverkündung handschriftlich zu den Akten gefertigten Aufzeichnungen im wesentlichen verwendet wurden. Kurze Zeit darauf hörte ich, daß der Oberstaatsanwalt Dr. Engert von der Behörde des Generalstaatsanwalts mit den Akten bei Staatssekretär Freisler in Berlin war und dort keine günstige Aufnahme des Urteils feststellte. Die Aufhebung des Urteils durch Nichtigkeitsbeschwerde, zum mindesten eine Lösung des Falles durch Gnadenentsschließung, war zu erwarten.

Umsomehr überraschte die nach mehreren Monaten vom Ministerium angeordnete Vollstreckung der Todesstrafe.

Ende Juli 1942 war ich Teilnehmer an einer strafrechtswissenschaftlichen Fortbildungswoche in Straßburg; dort sprach mich Staatssekretär Freisler auf den Fall Katzenberger an und machte auf die rechtliche Bedenklichkeit der auf die Volksschädllings VO. gestützten Verurteilung aufmerksam. Ich hielt entgegen, daß die Anordnung der Vollstreckung destomehr verwunderlich sei. Freisler gab hierauf keinen Aufschluß.

Zurückgekehrt nach Nürnberg, habe ich sofort Herrn Rothaug dieses Gespräch mit Freisler mitgeteilt. Rothaug quittierte den Bericht mit zynischem Lächeln und den Worten: "die hätten sich nach einmal unterstehen sollen, den Katzenberger zu begnadigen."

Damit stand und steht für mich fest, daß Rothaug federführend über den Parteiapparat (SD, Gauleitung und Parteikanzlei) tätig geworden und Einfluß gegen das Reichsjustizministerium dahin genommen hat, daß das von ihm unter unerhörtem Terror provozierte Todesurteil Katzenberger auch tatsächlich vollstreckt wurde. Den Einfluß konnte Rothaug leicht gewinnen, nachdem Reichsimpektor Oexle ja in der Sitzung anwesend war.

Diese Angaben entsprechen der Wahrheit und wurden ohne jeglichen Zwang gegeben. Ich habe sie gelesen, unterschrieben und an Eidesstatt erklärt.

Nürnberg, den 24. Januar 1947

gez. Dr. Karl Ferber
Landgerichtsdirektor a. D.

Unterschrieben und beschwören:
Nürnberg, den 24. Januar 1947

Anmerkung:

  1. Laut der Dokumentation des OLG Nürnberg zum Fall Katzenberger ist die Datierung falsch, da die Urteilsverkündung nicht am 13. März 1942, sondern einen Tag später erfolgt sei.

Quelle:

  1. Poliakov/Wulf
    Das Dritte Reich und seine Diener, S. 255-270

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