Der Korherr-Bericht

Kurze Fassung

[Stempel: Geheime Reichssache]

DIE ENDLÖSUNG DER EUROPÄISCHEN JUDENFRAGE

Statistischer Bericht

Notwendige Vorbemerkung. Judenstatistiken sind immer mit Vorbehalt aufzunehmen, da bei der zahlenmäßigen Erfassung des Judentums stets mit besonderen Fehlern zu rechnen ist. Fehlerquellen liegen u.a. in Wesen und Entwicklung des Judentums, seiner Abgrenzung, seiner mehrtausendjährigen ruhelosen Wanderschaft, den zahllosen Aufnahmen und Austritten, den Angleichungsbestrebungen, der Vermischung mit den Wirtsvölkern, vor allem aber im Bemühen der Juden, sich der Erfassung zu entziehen.

Schließlich hat die Statistik teils als Notbehelf, teils wegen der weitgehenden Übereinstimmung zwischen jüdischer Rasse und jüdischem Glauben, teils im konfessionellen Denken des letzten Jahrhunderts befangen, bis zuletzt die Juden nicht nach ihrer Rasse, sondern nach ihrem religiösen Bekenntnis erfasst. Die Erfassung der Juden nach der Rasse gestaltet sich auch -vor allem durch die äußerliche Verkleinerung des Judentums infolge Austritt, Übertritt, weiter zurückliegender rassischer Vermischung und durch Tarnung- sehr schwierig, wie die mißlungene Erfassung der Rassejuden in Österreich 1923 und die Erhebung der Voll-, Halb- und Vierteljuden bei der deutschen Volkszählung 1939 zeigen. Jüdische Bestandszahlen sind im allgemeinen nur als Mindestzahlen zu werten, wobei der Fehler mit geringerem jüdischem Blutanteil immer größer wird.

Fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet die Erstellung einer einigermaßen zuverlässigen Statistik über Bestand und Bewegung des Judentums in den gesamten Ostgebieten seit Beginn des zweiten Weltkrieges, der unkontrollierbare Massen von Juden in Bewegung gebracht hat.


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BILANZ DES JUDENTUMS

W e l t . Die Gesamtzahl der Juden auf der Erde schätzte man im letzten Jahrzehnt auf 15 bis 18 Millionen, zuweilen auch auf weit über 20 Millionen. Das Statistische Reichsamt gab für das Jahr 1937 die Zahl mit 17 Millionen an.

E u r o p a . Davon leben um 1937 etwa 10,3 Millionen(60 vH) in Europa und 5,1 Millionen(30 vH) in Amerika. Um 1880 hatte der europäische Anteil noch 88 vH, der amerikanische erst gut 3 vH betragen. In Europa häufen bzw. häuften sich die Juden vor allem in den nunmehr von Deutschland besetzten früheren polnischrussischen und baltischen Gebieten zwischen Ostsee und Finnischem Meerbusen und dem Schwarzen und Asowschen Meer, daneben in den Handelsmittelpunkten Mittel- und Westeuropas, im Rheingebiet und an den Küsten des Mittelmeers.

D e u t s c h l a n d . Die Judenbilanz des Reiches ist an die verschiedenen großen Zeiträume seit der jeweiligen Machtübernahme in seinen Teilgebieten gebunden. Erst von diesen Zeitpunkten an beginnt das Abfluten der Juden in großem Stil. Vorher gab es in manchen Gebieten sogar eine Zunahme der Juden als Folge des Abflusses aus Gebieten, die zum Reiche kamen.

Zur Zeit der jeweiligen Machtübernahme und am 31.12.1942 betrug die Zahl der Juden in

Tabelle aus Das Dritte Reich und die Juden, S. 244

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Zu den Zahlen vor der jeweiligen Machtübernahme ist ergänzend zu bemerken, dass sie z.T. ineinanderfließen. So strömte der Großteil der 30 000 Juden des Sudetenlandes (27 000 Glaubensjuden) vor der Vereinigung mit dem Reich ohne Überschreitung einer Staatsgrenze und ohne Vermögensverluste rasch ins Protektorat ab, ist also in den Zahlen für Böhmen und Mähren von 1939 zu einem Teil wieder enthalten. Das Sudetenland zählte am 17.5.1939 nur mehr 2 649 Juden.

Für die Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg läßt sich die Zahl der Juden im Reichsgebiet mit Protektorat und Generalgouvernement für einen festen Zeitpunkt angeben bzw. abschätzen. Sie beträgt um den 17.5.1939 in

Tabelle aus Das Dritte Reich und die Juden, S. 244

Altreich und Ostmark hatten bis zum Kriege weit über die Hälfte ihres - zivilisierten und sterilen - Judenbestandes bereits abgegeben, vor allem durch Auswanderung, während im Osten der Zusammenbruch der für die Zukunft gefährlichen fruchtbaren Judenmassen überwiegend erst im Kriege und besonders seit den Evakuierungsmaßnahmen von 1942 deutlich wird.

Das Judentum hat sich damit von 1933 bis 1943 innerhalb des erweiterten Reichsgebietes, also im zeitlich-räumlichen Bereich der nationalsozialistischen Staatsführung, um rund 3,1 Millionen Köpfe vermindert. Im Altreich sank der Bestand auf fast 1/12, in der Ostmark gar 1/27, im Generalgouvernement und in Böhmen und Mähren auf etwa 1/7, in den Ostgebieten auf 1/3 bis 1/4.


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Auswanderung, Sterbeüberschuß und Evakuierung. Dieser Rückgang ist das Ergebnis des Zusammenwirkens von Auswanderung, Sterbeüberschuß und Evakuierung, wozu noch geringfügige sonstige Veränderungen kommen (z.B. genehmigte Austritte, Anerkennung als Mischling I.Grades, Neuerfassung, Karteibereinigung), worüber die folgende Tabelle Aufschluß gibt:

Tabelle aus Das Dritte Reich und die Juden, S. 245

Die Bilanz für Altreich, Ostmark und Böhmen und Mähren zusammen sieht folgendermaßen aus:

Anfangsbestand der Juden bei jeweiliger Machtübernahme: 929 000

Veränderungen durch:

Auswanderung - 557 357
Sterbeüberschuß - 82 776
Evakuierung - 217 748
Neuerfassung usw. + 3 860
- 854 021
Bestand am 31.12.1942 74 979

Der außerordentliche Sterbeüberschuß der Juden z.B. im Altreich ist infolge der anormalen Überalterung und Lebensschwäche des Judentums ebenso auf Geburtenarmut wie auf hohe Sterblichkeit zurückzuführen: im 1. Viertel 1943 zählte man 22 Geburten, 1113 Sterbefälle. Die Zahlen über Auswanderung und Sterbeüberschuß(Kriegswirren!) der Ostgebiete und des Generalgouvernement sind nicht nachprüfbar. Sie sind das berechnete


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Ergebnis aus Anfangs- und Endbestand und Evakuierungen der Juden.

Vom 1.1.1943 bis 31.3.1943 fand aus dem Reichsgebiet mit Böhmen und Mähren, neuen Ostgebieten und Bezirk Bialystok wieder die Evakuierung von 113 015 Juden nach dem Osten statt, ebenso die Wohnsitzverlegung von 8 025 Juden ins Altersghetto Theresienstadt. Die Judenzahl in Deutschland, namentlich in den Ostgebieten, wurde dadurch neuerdings stark herabgesetzt.

Mischehen. Die Zahl der Juden im Reichsgebiet enthält am 31. Dezember 1932 einen nicht geringen Teil von Juden in Mischehen:

Tabelle aus Das Dritte Reich und die Juden, S. 246

Die Judenzahl des Altreichs hat sich inzwischen weiter von 51 327 am 31.12.1942 auf 31 910 am 1.4.1943 vermindert. Unter diesen 31 910 Juden leben über die Hälfte, nämlich 16 668 in Mischehe, davon 12 117 in privilegierter und 4 551 in nicht privilegierter Mischehe. Außerdem dürfte in der Aufstellung noch eine größere Anzahl von Juden mitgezählt sein, die schließlich als unauffindbar abgeschrieben werden müssen, wie es auch bei jedem Einwohnerkataster immer wieder vorkommt. Der Bestand der Juden im alten Reichsgebiet (ohne Ostgebiete) nähert sich seinem Ende.

Arbeitseinsatz. Von den im Reichsgebiet lebenden Juden befanden sich zu Beginn des Jahres 1943 21 659 in kriegswichtigem Arbeitseinsatz. Dazu kommen in kriegswichtigem Arbeitseinsatz 18 435 sowjetrussische Juden im Inspekteur-Bereich Königsberg, 50 570 staatenlose und ausländische Juden im Lagereinsatz Schmelt (Breslau) und 95 112 ehem.polnische Juden im Ghetto- und Lagereinsatz im Inspekteurbereich Posen.


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Konzentrationslager. In Konzentrationslagern befanden sich am 31.12.1942 insgesamt 9 127 Juden, in Justizvollzugsanstalten 458 Juden. Die Belegstärke der Konzentrationslager mit Juden war folgende:

Mauthausen/Gusen 79
Lublin 7 324 Sachsenhausen 46
Auschwitz 1 412 Stutthof 18
Buchenwald 227 Ravensbrück 3.

Altersghetto. Im einzigen Altersghetto Theresienstadt gab es Anfang 1943 zusammen 49 392 Juden, die von den Bestandszahlen abgeschrieben sind.

Evakuierung aus anderen europäischen Ländern. Im deutschen Macht- und Einflußbereich außerhalb der Reichsgrenzen fanden folgende Evakuierungen von Juden statt:

Tabelle aus Das Dritte Reich und die Juden, S. 247

E u r o p ä i s c h e J u d e n b i l a n z . Die Verminderung des Judentums in Europa dürfte damit bereits an 4 Millionen Köpfe betragen. Höhere Judenbestände zählen auf dem europ. Kontinent (neben Rußland mit etwa 4 Mill.) nur noch Ungarn (750 000) und Rumänien (302 000), vielleicht noch Frankreich. Berücksichtigt man neben dem angeführten Rückgang die jüdische Auswanderung und den jüdischen Sterbeüberschuß


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in den außerdeutschen Staaten Mittel- und Westeuropas, aber auch die unbedingt vorkommenden Doppelzählungen infolge der jüdischen Fluktuation, dann dürfte die Verminderung des Judentums in Europa von 1937 bis Anfang 1943 auf 4 1/2 Millionen zu schätzen sein. Dabei konnte von den Todesfällen der sowjetrussischen Juden in den besetzten Ostgebieten nur ein Teil erfaßt werden, während diejenigen im übrigen europäischen Rußland und an der Front überhaupt nicht enthalten sind. Dazu kommen die Wanderungsströme der Juden innerhalb Russlands in den asiatischen Bereich hinüber. Auch der Wanderungsstrom der Juden aus den europäischen Ländern außerhalb des deutschen Einflußbereichs nach Übersee ist eine weitgehend unbekannte Größe.

Insgesamt dürfte das europäische Judentum seit 1933, also im ersten Jahrzehnt der nationalsozialistischen Machtent- faltung, bald die Hälfte seines Bestandes verloren haben. Davon ist wieder nur etwa die Hälfte, also ein Viertel des europäischen Gesamtbestandes von 1937, den anderen Erdteilen zugeflossen.

Quellen:

  1. Léon Poliakov/Joseph Wulf
    Das Dritte Reich und die Juden
    Ullstein 33036, S. 243ff
  2. John Mendelson (Hrsg.)
    The Holocaust, Selected Documents in Eighteen Volumes
    New York/London 1982

Siehe auch:

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