654-PS

Auslieferung an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit

[Bericht des Reichsjustizministers Thierack über eine Besprechung mit Reichsführer SS Himmler am 18.09.1942 in seinem Feldquartier in Gegenwart des StS. Dr. Rothenberger, SS Gruppenführer Streckenbach und SS Obersturmbannführer Bender.]


1. Korrektur bei nicht genügenden Justizurteilen durch polizeiliche Sonderbehandlung. Es wurde auf Vorschlag des Reichsleiters Bormann zwischen Reichsführer SS und mir folgende Vereinbarung getroffen:

a) Grundsätzlich wird des Führers Zeit mit diesen Dingen überhaupt nicht mehr beschwert.

b) Über die Frage, ob polizeiliche Sonderbehandlung eintreten soll oder nicht, entscheidet der Reichsjustizminister.

c) Der Reichsführer SS sendet seine Berichte, die er bisher dem Reichsleiter Bormann zusandte, an den Reichsjustizminister.

d) Stimmen die Ansichten des Reichsführers SS und des Reichsjustizministers überein, so wird die Angelegenheit zwischen ihnen erledigt.

e) Stimmen beider Ansichten nicht überein, so wird die Meinung des Reichsleiters Bormann, der evtl. den Führer unterrichten wird, herbeigezogen.

f) Soweit auf anderem Wege (etwa durch ein Schreiben eines Gauleiters) die Entscheidung des Führers über ein mildes Urteil angestrebt wird, wird Reichsleiter Bormann den Bericht an den Reichsjustizminister weiterleiten. Die Angelegenheit wird sodann zwischen dem Reichsführer SS und dem Reichsminister der Justiz in vorbezeichneter Form erledigt werden.

2. Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. Zunächst sollen die übelsten asozialen Elemente unter letzteren ausgeliefert werden. Hierzu werde ich den Führer durch Reichsleiter Bormann unterrichten.

3. Rechtsprechung durch das Volk. Diese ist Schritt für Schritt zunächst in den Dörfern und den kleinen Städten bis etwa 20 000 Einwohner möglichst bald durchzuführen.

In Großstädten ist die Durchführung schwierig. Hierzu werde ich durch einen Artikel im Hoheitsträger besonders die Partei zur Mitwirkung anregen. Es besteht Klarheit darüber, daß die Gerichtsbarkeit nicht in den Händen der Partei liegen darf.

4. Verordnungen, die die Polizei und Justiz betreffen, sollen in Zukunft abgestimmt herausgegeben werden, z.B. Nichtverfolgung unehelicher Mütter bei dem Versuch der Abtreibung.

5. Reichsführer SS ist einverstanden, daß die Straftilgung auch für Polizeiangehörige nach § 8 des Straftilgungsgesetzes beim Reichsjustizmin. verbleibt.

6. Der von mir geplanten Regelung der vom Führer angeordneten Prügelstrafe stimmt Reichsführer SS in vollem Umfange zu.

7. Ich nehme auf das Gemeinschaftsfremdengesetz Bezug und melde Ansprüche der Justiz an, z.B. bei Feststellung Jugendlicher als asoziale Elemente und ihre Einweisung. Auch scheinen mir die Tatumstände, die zur Abstempelung eines Menschen als asozial dienen, nicht klar genug im Gesetz dargelegt. Reichsführer SS wartet unsere Stellungnahme ab und wird bis dahin die Vorlage des Gesetzes nicht betreiben.

8. Reichsführer SS ist mit einer Bestimmung, wonach die Strafmündigkeit auf 12 Jahre herabgesetzt und die verminderte Strafmündigkeit über 18 Jahre erweitert werden kann, für das Jugendstrafgerichtsgesetz einverstanden.

9. SS-Obersturmbannführer Bender im Stabe des Reichsführers SS wird vom Reichsführer SS als Verbindungsmann in Sachen, die eine unmittelbare Verbindung zum Reichsführer SS notwendig erscheinen lassen, bestimmt. Er ist jederzeit durch Fernschreiben im Feldquartier des Reichsführers SS zu erreichen, kommt auch monatlich einmal nach Berlin und wird sich hier bei mir melden. Für die anderen Sachen ist zum Verbindungsmann Hauptsturmführer Wanniger ernannt, der sich im Sicherheitshauptamt befindet.

10. Reichsführer SS weist darauf hin, daß im Strafvollzug viel mehr Spezialanstalten einzurichten sind nach dem Grundsatz, daß Nichtbesserungsfähige für sich zusammen und Besserungsfähige nach ihren Spezialverbrechen (z.B. Betrüger, Diebe, gewaltmäßig Handelnde) geschlossen unterzubringen sind. Das wird als richtig anerkannt.

11. Reichsführer SS verlangt die Führung des Strafregisters bei der Polizei. Es ist zu untersuchen, was dagegen spricht (Tilgung, Erschwerung und Herbeiziehung des Strafregisterauszugs?) Die Angelegenheit soll mit Gruppenführer Streckenbach noch durchverhandelt werden.

12. Reichsführer SS weist auf den im Felde als Major befindlichen SS-Obersturmführer Reichsgerichtsrat Altstötter und auf den Landgerichtspräsidenten Stepp positiv und auf den GenStAnw. Jung in Dresden negativ hin.

13. Schließlich schneidet Reichsführer SS die Frage der Staatsanwaltschaft und ihren Übergang an die Polizei an. Ich lehnte das rundweg ab. Weiter wurde dieses Thema nicht behandelt.

14. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß in Rücksicht auf die von der Staatsführung für die Bereinigung der Ostfragen beabsichtigten Ziele in Zukunft Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von den ordentlichen Gerichten, soweit es sich um Strafsachen handelt, abgeurteilt werden sollen, sondern durch den Reichsführer SS erledigt werden. Das gilt nicht für bürgerlichen Rechtsstreit und auch nicht für Polen, die in die deutschen Volkslisten angemeldet oder eingetragen sind.

Th.

Quellen:

  1. Der Nürnberger Prozess, Urkunden und anderes Beweismaterial
    Delphin-Verlag, München 1989
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