3710-PS

Walter Schellenberg: Eidesstattliche Erklärung

Walter Schellenberg
Walter Schellenberg

Meiner Erinnerung nach verhandelte Mitte Mai 1941 der Chef des vierten Amtes des Reichssicherheitshauptamts (SS-Brigadefuehrer Mueller) im Namen des Chefs des Reichssicherheitshauptamts (SS-Gruppenfuehrer Heydrich) mit dem Generalquartiermeister des Heeres (General Wagner) ueber Fragen des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes im Rahmen des Feldheeres beim bevorstehenden Feldzug gegen Russland. Wagner fand keinen Kontakt mit Mueller und daher bat Heydrich um Abstellung eines anderen Verhandlungspartners. Ich war damals Chef der Abteilung E im vierten Amt des RSHA unter dem Amtschef Mueller und wurde auf Grund meiner Protokollerfahrungen von Heydrich zu Wagner entsandt, um die entgueltige Vereinbarung zu formulieren. Laut meines Befehles sollte ich darauf achten, dass es in dieser Vereinbarung vorgesehen wurde, dass die verantwortlichen Heeresdienststellen zur voelligen Unterstuetzung aller Taetigkeiten der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der SIPO und des SD fest gebunden waeren. Ich habe mit Wagner das Problem dieses gegenseitigen Verhaeltnisses eingehend besprochen. Gemaess dieser Aussprache habe ich ihm dann einen ausgearbeiteten Vereinbarungsentwurf vorgelegt, der seine volle Billigung fand. Dieser Vereinbarungsentwurf wurde die Grundlage einer Abschlussbesprechung gegen Ende Mai 1941 zwischen Wagner und Heydrich.

Der Inhalt dieser Vereinbarung ist meiner Erinnerung nach ungefaehr folgender gewesen. Ihre Grundlage war der zu Eingang der Vereinbarung erwaehnte Fuehrerbefehl, dass die SIPO und der SD im Kampfverband des Feldheeres zum Einsatz gelange, mit der Aufgabe, jeden Widerstand in eroberten Frontgebieten beziehungsweise in eroberten rueckwaertigen Nachschubgebieten mit allen Mitteln schnellstens und vollkommen zu brechen. Alsdann wurden die einzelnen Raeume, in denen die SIPO und der SD eingesetzt werden und taetig sein sollten, festgelegt. Die einzelnen Einsatzgruppen waren dabei verteilt auf die zum Einsatz gelangenden Heeresgruppen, und die einzelnen Einsatzkommandos auf die betreffenden zum Einsatz gelangenden Armeen.

Die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos sollten im Einzelnen taetig werden

1) in den Frontgebieten: bei voelliger Unterstellung unter das Feldheer, taktisch - fachlich und truppendienstlich;

2) in den rueckwaertigen Operationsgebieten: bei Unterstellung unter das Feldheer nur truppendienstlich, aber befehlsmässig und fachlich unter das RSHA;

3) in den rueckwaertigen Heeresgebieten: Regelung wie unter 2;

4) in den Gebieten der zivilen Ostverwaltung: genau wie im Reich.

Die taktisch-fachliche Befehlsgewalt und die Verantwortlichkeit der Frontdienststellen des Feldheeres ueber die Einsatzkommandos wurde in der Vereinbarung in keiner Weise beschraenkt und daher bedurfte sie keiner weiteren Erlaeuterung.

Die Vereinbarung legte fest, dass die truppendienstliche Unterstellung nicht nur die disziplinaere Unterstellung umfasste, sondern auch die Verpflichtung der rueckwaertigen Dienststellen des Feldheeres auf Unterstuetzung der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos in Fragen des Nachschubs (Benzin, Verpflegung, usw.) sowie auf Benuetzung des Nachrichtennetzes.

Diese Vereinbarung wurde in meiner Gegenwart von Heydrich und Wagner unterschrieben. Wagner unterschrieb sie entweder "in Vertretung" oder "im Auftrag" des Oberkommandos des Heeres.

Nach der Unterschriftleistung durch Wagner und Heydrich wurde ich von beiden Herren auf eine halbe Stunde aus dem Zimmer gebeten. Ich hoerte noch im Hinausgehen, wie sie sich beide darueber einig wurden, ueber den ihnen beiden offenbar vorher persoenlich bekannten Fuehrerbefehl und ueber seine weitere Auslegung im Einzelnen unter vier Augen sprechen zu wollen. Nach der abgelaufenen halben Stunde wurde ich nur noch zu der Verabschiedung hereingerufen.

Ich habe heute den "Taetigkeits- und Lagebericht Nr. 6 der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der UdSSR (Berichtszeit vom 1.-31.10.1941)" gelesen, sowie den "Gesamtbericht der Einsatzgruppe A bis zum 15. Oktober 1941." Man sieht vom ganzen Inhalt dieser Berichte, dass die Taetigkeit der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der SIPO und des SD besonders darin lag, Massenvernichtungen von Juden, Kommunisten und anderen Widerstandselementen zu unternehmen und durchzufuehren. Man sieht auch aus dem oben erwaehnten "Gesamtbericht", der nicht mehr als die ersten vier Monate dieser Taetigkeit umfasst, dass die Zusammenarbeit der betreffenden Oberbefehlshaber mit der Einsatzgruppe A "im allgemeinen gut, in Einzelfaellen, wie z.B. mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Hoeppner, sehr eng, ja fast herzlich war" (Seite 1). Aus einer Anlage zu demselben Bericht mit dem Titel "Uebersicht ueber die Zahl der exekutierten Personen" geht es anschaulich hervor, besonders aus der Reihenfolge der Zahlen in den einzelnen der Reihe nach eroberten Gebieten, dass gleich vom Anbeginn des Vormarsches gegen Russland an die Totalitaet des Einsatzes der SIPO und des SD mit Massenvernichtungen aller Widerstandselemente in den Frontgebieten eingesetzt hat. Ich anerkenne die Glaubwuerdigkeit und Wahrhaftigkeit der beiden oben erwaehnten Berichte.

Daher muss ich heute meiner festen Ueberzeugung Ausdruck geben, dass in der geheimen und muendlichen Auslegung zwischen Wagner und Heydrich die umfassende zukuenftige Taetigkeit der Einsatzgruppen und der Einsatzkommandos im Rahmen des Kampfverbandes des Feldheeres bis auf geplante Massenvernichtungen vermutlich eroertert und festgelegt worden ist. Die oben angefuehrte enge und schon in den ersten Wochen des russischen Feldzuges stattgefundene Zusammenarbeit zwischen dem Feldheer und den Einsatzgruppen veranlasst mich heute meiner festen Ueberzeugung Ausdruck zu geben, dass die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen, die im russischen Feldzug teilnehmen sollten, schon vor dem Beginn dieses Feldzuges von der weitgehenden zukuenftigen Aufgabe der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der SIPO und des SD bis auf geplante Massenvernichtungen von Juden, Kommunisten und allen anderen Widerstandselementen durch die gewoehnlichen Dienstwege des OKH genau informiert worden sind.

Anfang Juni 1941 hatte Wagner, gemeinsam mit Heydrich und dem Chef des Amts Ausland / Abwehr des OKW (Admiral Canaris), saemtliche Ic AO's und soweit ich mich erinnere, saemtliche Ic's aller Heeresgruppen, Armeen, Armeekorps und etlicher Divisionen, die in dem kommenden russischen Feldzug teilnehmen sollten, zu einer gemeinsamen Besprechung im OKW-Gebaeude in Berlin zusammengerufen. Ebenfalls anwesend waren z. groessten Teil die verantwortlichen Fuehrer der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der SIPO und des SD. Ich war auch dabei. Der wesentliche Inhalt und Zweck dieser Tagung war die Darstellung der militaerischen Planung gegen Russland und die Bekanntmachung der oben dargestellten Einzelheiten der zwischen Wagner und Heydrich getroffenen schriftlichen Vereinbarung.

Diese Gruppe von Ic AO's und Ic's blieb noch ein paar Tage in Berlin und wurde in mehreren Besprechungen, denen ich nicht beiwohnte, ueber die weiteren Einzelheiten des kommenden russischen Feldzuges eingehend unterrichtet. Ich nehme an, dass es sich in diesen Besprechungen um die genaue Festlegung des Fuehrerbefehls, "jeden Widerstand in eroberten Gebieten mit allen Mitteln schnellstens und vollkommen zu brechen", bis auf geplante Massenvernichtungen aller Widerstandselemente gehandelt hat. Sonst waere die Zusammenarbeit zwischen dem Feldheer und den Einsatzgruppen, die in ein paar Wochen aus den oben erwaehnten Akten klar zu sehen ist, vermutlich nicht zu erwarten gewesen. Auf alle Faelle ist daran kaum zu zweifeln, dass diese Ic AO's und Ic's ihre eigenen Chefs, einschliesslich aller Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Armeen, die gegen Russland marschieren sollten, sofort nach ihrer Rueckkehr von Berlin von dem vollen Umfang der Vereinbarung genauestens unterrichtet häben.

Walter Schellenberg 26/XI 1945

Quellen:

  1. Der Nürnberger Prozess, Urkunden und anderes Beweismaterial
    Delphin-Verlag, München 1989
nach oben
© Jürgen Langowski 2024
Impressum | Datenschutz