12.08.1939

Niederschrift des Gesandten Schmidt über die Unterredung zwischen Adolf Hitler und dem italienischen Außenminister, Graf Ciano

An Hand von Karten stellte der Führer zu Beginn der Unterredung dem Grafen Ciano die augenblickliche Lage Deutschlands vom militärischen Standpunkt aus dar. Er unterstrich insbesondere die Stärke der deutschen Westbefestigungen. Es gebe auf der Westseite drei Durchbruchsstellen, an denen die Franzosen in früheren Zeiten stets den Durchbruch aus geographischen und strategischen Gründen versucht hätten, die nun aber besonders sorgfältig geschützt worden seien, so daß auch hier ein Durchbruch unmöglich erschiene. Im übrigen seien die Westbefestigungen auch längs der luxemburgisch-belgischen Grenze bis an die holländische Grenze durchgeführt worden, so daß eine Verletzung der belgischen Neutralität für Frankreich keinerlei militärische Vorteile mehr mit sich brächte, sondern höchstens die Gefahr in sich schlösse, daß Belgien sich zur Verteidigung seiner Neutralität und auch auf Drängen des flämischen Bevölkerungsteils auf die Seite Deutschlands stelle. Die einzig noch übrigbleibende Angriffsmöglichkeit wäre somit theoretisch der Weg über die Niederlande. Aber auch diese würden nach Ansicht des Führers ihre Neutralität energisch verteidigen, schon weil sie wüßten, daß sie bei Teilnahme an einem allgemeinen Konflikt ihre so gut wie unverteidigten ostasiatischen Kolonien an Japan verlieren würden. Die Niederlande seien im übrigen infolge der zahlreichen Flüsse und Kanäle und der Möglichkeit, weite Strecken des unterhalb des Meeresspiegels gelegenen Landes zu überschwemmen, als Aufmarschgebiet für eine größere Armee völlig ungeeignet. Deutschland würde selbstverständlich bei einer Verletzung der holländischen Neutralität sofort in das Land einrücken und hätte bei der sehr geringen Entfernung der deutschen Grenze von der Maas die Möglichkeit, innerhalb weniger Stunden bis an diesen Fluß vorzustoßen. Im übrigen biete der Rhein, der in Holland 1 - 1 1/2 km breit sei, einen natürlichen Schutz gegen Angriffe aus dieser Richtung.

Die dritte Möglichkeit, Deutschland anzugreifen, bestünde in der Blockade durch die englische Marine. Dabei sei jedoch zu bedenken, daß die Blockadeschiffe von Deutschland aus der Luft angegriffen werden könnten, da ganz England infolge des großen Aktionsradius der neuesten deutschen Bomber innerhalb des Angriffsbereichs der deutschen Luftwaffe läge. Irgendwelche weitere Angriffsmöglichkeiten auf Deutschland bestünden nicht. Die nordischen Länder würden zweifellos neutral bleiben und seien auch insofern vor jedem Angriff von irgendeiner Seite sicher, als eine Besetzung derartig großer Gebiete, wie Norwegen und Schweden, wohl kaum in Frage kommen dürfte. Ebenso würde die Schweiz sicherlich ihre Neutralität gegen jeden Eindringling aufs äußerste verteidigen.

Im Osten habe Deutschland ebenfalls starke Befestigungen errichtet. Der Führer zeigte dem Grafen Ciano die verschiedenen Befestigungssysteme Ostpreußens (Königsberg, Heilsberger Dreieck, Grenzbefestigungen). Auch an der übrigen Reichsgrenze (Grenzmark, Schlesien) seien starke Befestigungen im Entstehen begriffen, die besonders an der polnischen Grenze gegenüber Berlin zu einem uneinnehmbaren System hintereinanderliegender Linien ausgebaut worden seien. Allerdings sei die Hauptstadt bei nur 150 km, die sie von der polnischen Grenze trennten, Luftangriffen stark ausgesetzt, besonders da infolge der großen Ausdehnung Berlins (28 km Nord-Süd und 45 km Ost-West) die Stadt auch schon aus einer sehr großen Höhe (8000 bis 9000 m) aus der Luft bombardiert werden könnte, ohne daß zwar bestimmte Ziele angegriffen würden, jedoch mit der Sicherheit, daß die Bomben irgendwo im Stadtgebiet niederfielen.

Zur militärischen Lage der Westmächte und Polens übergehend, wies der Führer erneut auf die Verwundbarkeit Englands in der Luft hin. Zwar seien in der Flugzeugproduktion Fortschritte gemacht worden, jedoch befände sich die Luftabwehr noch stark im Rückstand. Man wisse, daß sich England erst im letzten Herbst für eine bestimmte Luftabwehrgeschütz-Type entschieden habe, und besitze auf Grund der eigenen siebenjährigen Aufrüstung Erfahrung genug, um zu wissen, daß eine Produktion in größerem Maße erst nach langer Zeit nach der Wahl eines Prototyps möglich sei, so daß eine wirksame Luftabwehr in England erst in 1-2 Jahren in Erscheinung treten könne. Im übrigen gelte für London ebenso wie für die großen Städte und Industriezentren derselbe Nachteil, der Berlins Stellung gegenüber polnischen Luftangriffen charakterisiere: aus großen Höhen, die für die jetzigen, noch aus dem Kriege stammenden Luftabwehrgeschütze Englands nicht zu erreichen seien, könnten mit absoluter Sicherheit Bombardements erfolgen, die auf jeden Fall innerhalb der Großziele erfolgreich sein würden.

Zur See habe England im Augenblick noch keinerlei Zuwachs zu verzeichnen. Von den im Bau befindlichen Schiffen würden erst in einiger Zeit die ersten Einheiten in Dienst gestellt werden können. Was die Landarmee anbetreffe, so seien nach Einführung der Dienstpflicht jetzt 60000 Mann unter die Fahnen gerufen worden. Wenn England im eigenen Lande die notwendigen Truppen zurückhielte, so sei es in der Lage, Frankreich höchstens 2 Infanteriedivisionen und 1 Panzerdivision zur Verfügung zu stellen. Im übrigen könne es einige Bombergeschwader, aber kaum Jagdgeschwader auf Frankreich abstellen, da bei Kriegsausbruch die deutsche Luftflotte England sofort angreifen würde und die englischen Jagdflugzeuge daher für den Schutz des eigenen Landes dringend benötigt werden würden. Über Frankreichs Lage bemerkte der Führer, daß bei einem allgemeinen Konflikt nach der innerhalb einer kurzen Zeit zu erwartenden Niederschlagung Polens Deutschland in der Lage sein würde, am Westwall 100 Divisionen zu versammeln, die Frankreich zwingen würden, sämtliche verfügbaren Streitkräfte aus den Kolonien, von der italienischen Grenze und anderswoher an seiner eigenen Maginotlinie für den Kampf auf Leben und Tod, der dann einsetzen würde, zu versammeln. Er sei im übrigen der Ansicht, daß die Franzosen ebensowenig die italienischen Befestigungen überrennen könnten wie den Westwall.

Hier gab Graf Ciano einige Zeichen äußersten Zweifels zu erkennen.

Polens Armee sei außerordentlich unterschiedlich in ihrem Wert. Es gebe neben einigen Paradedivisionen eine ganze Anzahl minderwertiger Truppenteile. In der Tankabwehr und Luftabwehr sei Polen sehr schwach. Zur Zeit könnten ihm Frankreich und England nichts liefern. Wenn aber Polen eine längere Zeit lang vom Westen wirtschaftlich unterstützt würde, so könne es sich diese Waffen zulegen, und Deutschlands Überlegenheit würde dadurch herabgesetzt. Den Fanatikern von Warschau und Krakau stände die indifferente Landbevölkerung der anderen Gegenden gegenüber. Außerdem sei die Bevölkerungszusammensetzung des polnischen Staates zu berücksichtigen: auf 54 Millionen Einwohner kämen 1 1/2 Millionen Deutsche, rund 4 Millionen Juden und schätzungsweise 9 Millionen Ukrainer, so daß an eigentlichen Polen erheblich weniger als die Bevölkerungszahl übrigbleibe und auch diese, wie bereits erwähnt, in ihrer Schlagkraft unterschiedlich zu bewerten seien. Unter diesen Umständen würde Polen durch Deutschland in kürzester Zeit zu Boden geschlagen werden.

Da Polen durch seine ganze Haltung zu erkennen gebe, daß es auf jeden Fall in einem Konflikt auf seiten der Gegner Deutschlands und Italiens stehen würde, könne eine schnelle Liquidierung für die doch unvermeidbare Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien im jetzigen Augenblick nur von Vorteil sein. Bleibe ein feindliches Polen an Deutschlands Ostgrenze bestehen, so wären nicht nur die 11 ostpreußischen Divisionen, sondern auch noch weitere Kontingente in Pommern und Schlesien gebunden, was bei einer vorherigen Liquidierung nicht der Fall sein würde. Ganz allgemein gesprochen, sei es überhaupt das beste, wenn die falschen Neutralen einer nach dem andern liquidiert würden. Dies ließe sich verhältnismäßig einfach durchführen, wenn jeweils der eine Partner der Achse dem andern, der gerade einen der unsicheren Neutralen erledigte, den Rücken deckte und umgekehrt. Für Italien sei wohl Jugoslawien als ein derartiger unsicherer Neutraler anzusehen. Bei dem Besuche des Prinzregenten Paul habe er (der Führer) diesem besonders auch mit Rücksicht auf Italien nahegelegt, durch eine Geste seine politische Einstellung der Achse gegenüber zu klären. Er habe dabei an eine enge Bindung an die Achse und an den Austritt Jugoslawiens aus dem Völkerbund gedacht. Dieser letztere sei auch vom Prinzen Paul zugesagt worden. Vor kurzem sei der Prinzregent in London gewesen und habe dort Rückversicherungen bei den Westmächten gesucht. Es habe sich hier das wiederholt, was man mit Gafencu erlebt hatte, der auch bei seinem Besuch in Deutschland außerordentlich vernünftig gewesen wäre und jedes Interesse an den Zielen der westlichen Demokratien abgeleugnet habe. Nachher allerdings hätte er, wie man später erfahren habe, in England einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Unter den Balkanländern könne sich die Achse voll und ganz nur auf Bulgarien verlassen, das gewissermaßen der natürliche Verbündete Italiens und Deutschlands sei. Deshalb habe Deutschland auch Bulgarien so stark wie möglich mit Waffenlieferungen unterstützt und werde dies auch fortsetzen. Jugoslawien würde nur so lange neutral bleiben, als es gefährlich wäre, offen auf die Seite des westlichen Demokratien überzugehen. In dem Augenblick aber, in dem für Deutschland und Italien eine Wendung zum Schlechten einträte, würde Jugoslawien auch offen auf die andere Seite treten, in der Hoffnung, damit dem Lauf der Dinge eine endgültige Wendung zum Nachteil der Achse zu geben. Rumänien fürchte sich vor Ungarn und sei militärisch außerordentlich schwach und innerlich korrupt. König Carol würde ohne Notwendigkeit seine Neutralität zweifellos nicht verlassen. Ungarn sei befreundet, und die Slowakei befände sich unter deutschem Einfluß, habe sogar in einigen Teilen deutsche Garnisonen. Zur Danziger Frage zurückkehrend, erklärte der Führer dem Grafen Ciano, daß es ihm unmöglich sei, hier zurückzuweichen. Er habe sich mit Italien auf die Zurückziehung der Deutschen aus Südtirol geeinigt, müsse aber nun gerade deswegen peinlichst alles vermeiden, was den Eindruck hervorrufen könne, es handle sich bei der Zurückziehung der Deutschen aus Südtirol um einen Präzedenzfall, der auch auf andere Gebiete Anwendung finden könne. Im übrigen sei seine Rechtfertigung der Zurückziehung dieser Deutschen aus Italien dem deutschen Volke gegenüber die allgemeine nach Osten und Nordosten gehende Richtung der deutschen Politik. Der Osten und der Nordosten, d. h. die Länder an der Ostsee, seien genauso Deutschlands unumstrittene Interessengebiete seit Urzeiten, wie das Mittelmeer Italiens eigenste Sphäre sei. Auch aus wirtschaftlichen Gründen brauche Deutschland die Getreide und Holz produzierenden Länder dieser östlichen Gegenden. Im Falle Danzig handle es sich aber nicht nur um rein materielle Interessen, obwohl diese Stadt der größte Ostseehafen sei. Der Umschlag betrage tonnagemäßig 40% von Hamburg. Danzig, das nordische Nürnberg, sei eine urdeutsche Stadt, die in jedem Deutschen sentimentale Regungen wecke, und gerade dieses psychologische Element zwinge auch den Führer, der Volksstimmung Rechnung zu tragen. Um die Lage dem italienischen Verständnis näherzubringen, müsse sich Graf Ciano einmal vorstellen, Triest befände sich in jugoslawischen Händen und eine stark italienische Minderheit auf jugoslawischem Boden würde mit brutaler Gewalt behandelt. Es sei kaum anzunehmen, daß Italien dies sehr lange ruhig mit ansehen würde.

Graf Ciano erwiderte auf die Ausführungen des Führers, indem er zunächst auf die große Überraschung hinwies, die auf italienischer Seite über den völlig unerwarteten Ernst der Lage bestehe. Weder in den Unterhaltungen von Mailand noch in den Gesprächen anläßlich seines Berliner Besuches habe man deutscherseits zu erkennen gegeben, daß die Lage Polen gegenüber derartig ernst sei. Im Gegenteil habe der Reichsaußenminister erklärt, daß seiner Meinung nach die Danziger Frage im Laufe der Zeit geregelt werden würde. Auf Grund dieser Sachlage habe sich der Duce, getreu seiner Überzeugung, daß die Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien unumgänglich sei, vorgenommen, seine Vorbereitungen für diesen Fall zu treffen, und habe diese Pläne auf eine bestimmte Zeitdauer von 2-3 Jahren abgestellt. Falls ein Konflikt jetzt unumgänglich sei, würde, wie der Duce noch bei der Abreise des Grafen Ciano erneut betont hätte, Italien selbstverständlich ganz an der Seite Deutschlands stehen, aber aus verschiedenen, im einzelnen ausgeführten Gründen würde es die Verschiebung eines allgemeinen Konflikts auf einen späteren Zeitpunkt begrüßen.

Graf Ciano stellte sodann an Hand der Karte die italienische Lage bei Ausbruch eines allgemeinen Konflikts dar. Italien glaube, so führte er aus, daß ein Konflikt mit Polen nicht auf dieses Land beschränkt bleiben, sondern sich zu einem allgemeinen europäischen Krieg auswachsen würde.

Der Führer bemerkte hierzu, daß dies der Punkt sei, an dem die Meinungen auseinandergehen. Er persönlich sei der felsenfesten Überzeugung, daß die westlichen Demokratien letzten Endes doch vor der Entfachung eines allgemeinen Krieges zurückschrecken würden. Graf Ciano erwiderte, er wünschte, der Führer behielte recht, er glaube es aber nicht. Auf jeden Fall müsse man seine Überlegungen auf den ungünstigsten Fall, d. h. den allgemeinen Konflikt abstellen. Italien habe seit dem Abessinien-Konflikt eigentlich ständig in einer Art Kriegszustand gelebt und bedürfe daher dringend einer Atempause. Graf Ciano wies an Hand einzelner Zahlen nach, wie groß die materiellen Anstrengungen Italiens besonders auch im Spanienkonflikt gewesen seien. Es seien nunmehr Italiens Rohstoffvorräte völlig aufgebraucht. Es müsse Zeit haben, seine Läger erneut aufzufüllen.

Auch seine Kriegsindustrien, die sämtlich an einer exponierten Stelle lägen, müßte Italien nach Süden verlegen, um sie besser verteidigen zu können. Ebenso sei die italienische Artillerie, besonders die Flugabwehr, außerordentlich modernisierungsbedürftig. Die lange Küstenlinie und die sonstigen exponierten Stellen seien völlig ungenügend verteidigt.

Auch die Flottenstärke sei äußerst ungünstig. Im Augenblick habe Italien den vereinigten englischen und französischen 11-12 Schlachtschiffen nur 2 Schlachtschiffe entgegenzustellen, während bereits in einigen Jahren 8 Schlachtschiffe insgesamt zur Verfügung wären. Hier warf der Führer ein, daß allerdings auch England und Frankreich über zusätzliche Schlachtschiffe, 35000-Tonner und 40000-Tonner, verfügen würden.

Graf Ciano wies auf die lange italienische, schwer zu verteidigende Küstenlinie hin und auf die englisch-französischen Flotten zahlreich zur Verfügung stehenden Stützpunkte, unter besonderer Berücksichtigung der griechischen Häfen. Besonders verwundbar sei Italien gegenwärtig in seinen Kolonien. Libyen sei zwar von Ägypten her schwer anzugreifen, während es selbst die Möglichkeit hätte, nach Marsah Matruk vorzustoßen. Ganz anders dagegen sei die Lage Tunis gegenüber. Das Verhältnis der italienischen und französischen arabischen Bevölkerung sei wie 1:20, während die weißen Truppenstärken sich wie 1:5 zu ungunsten Italiens verhielten. Außerdem seien die italienischen Befestigungen nach der französischen Grenze zu völlig ungenügend. Erst kürzlich seien neue Panzertürme geliefert worden.

Abessinien sei zwar fast befriedet bis auf gewisse Gegenden längs der Grenze nach den englischen Gebieten, wo die Engländer durch Geld und Propaganda Schwierigkeiten unter der Bevölkerung hervorriefen, es handle sich aber um eine Befriedung an der Oberfläche. Es würde genügen, daß in einem allgemeinen Konflikt einige englische Flugzeuge über Abessinien Flugblätter abwerfen des Inhalts, daß die Welt gegen Italien aufgestanden sei und der Negus zurückkehren würde, um den Aufstand der Abessinier wieder aufflammen zu lassen. Außerdem würde im Konfliktsfalle Abessinien vom Mutterlande völlig abgeschnitten werden, und das Schicksal von 200000 Italienern in Abessinien sei völlig ungewiß. In einigen Jahren würde man eine Armee von 400000 - 500000 Mann in Abessinien stehen haben und könnte in einem Konflikt, der dann ausbräche, erfolgreich gegen den Sudan, Kenya und das französische Somaliland vorgehen.

Die Inseln des Dodekanes würden bei der Haltung der Türkei in Schwierigkeiten geraten. Allerdings würden sich Leros und Rhodos auf Jahre hinaus verteidigen. Albanien sei ein völlig unentwickeltes Land und würde erst in einigen Jahren eine wirksame Operationsbasis gegen den Balkan abgeben. Zunächst müßten Straßen gebaut und die Bodenschätze (Eisen, Kupfer, Chrom und Erdöl) ausgebeutet werden, dann könne man daran denken, wie es der Führer kurz angedeutet hätte, erfolgreich nach Saloniki und in andere Richtungen des Balkans gleichsam längs der 5 Finger einer ausgebreiteten Hand vorzustoßen. Wirtschaftlich habe Italien Autarkiepläne, die sich erst in einigen Jahren verwirklichen lassen würden und dann Italien in den Stand setzten, auch einen längeren Krieg ohne Schwierigkeiten durchhalten zu können. Ein weiterer Grund für den Wunsch des Duce, den Konflikt hinauszuschieben, seien die Italiener im Ausland, die planmäßig nach Italien zurückgezogen werden sollten. In Frankreich lebten eine Million Italiener, von denen ungefähr 700 000 endgültig für Italien verloren seien. Die restlichen 300000 aber würden im Konfliktsfalle von Frankreich als Geiseln benutzt werden, wie sich schon aus einigen im September v. J. in Frankreich getroffenen Maßnahmen habe erkennen lassen.

Außerdem lege der Duce persönlich großen Wert auf die ordnungsgemäße Durchführung der Weltausstellung im Jahre 1942, für die Italien große Vorbereitungen treffe und von der es auf wirtschaftlichem Gebiet, besonders auch hinsichtlich der Deviseneingänge, günstige Resultate erhoffe. Außer diesen in Italiens Lage selbst begründeten Erwägungen sprächen jedoch auch Überlegungen allgemein politischer Art für die Verschiebung eines allgemeinen Konflikts. Das Einkreisungssystem der westlichen Demokratien würde nach der Überzeugung des Duce im gegenwärtigen Augenblick zweifellos funktionieren. Sei aber erst einmal eine gewisse Zeit verstrichen, so würden die Reibungspunkte und die Keime der Uneinigkeit unter den Partnern der Einkreisungsfront sich wieder stark bemerkbar machen und die Front allmählich zersetzen.

Außerdem sei der Duce überzeugt, daß die augenblickliche Hochstimmung in England und Frankreich nicht längere Zeit andauern könne. Bald würde, besonders in Frankreich, die Union sacrée wieder durch den Parteizwist abgelöst werden, unter der Bedingung, daß von seiten der Achse eine Zeitlang Ruhe gehalten würde. Im Augenblick sei es jedenfalls nur der Achse zu verdanken, wenn in den betreffenden Ländern die inneren Streitigkeiten begraben würden.

Japans Stellung würde nach der in zwei Jahren zu erwartenden Beendigung des China-Konflikts ebenfalls erheblich gestärkt werden, während die Stellung Roosevelts in Amerika nach einer Zeit der außenpolitischen Ruhe aufs schwerste erschüttert werden würde, so daß er nicht ein drittes Mal zum Präsidenten gewählt werden könnte, was sicherlich der Fall sein würde, wenn demnächst ein Konflikt ausbräche.

Spanien, das sich eben erst eine achsenfreundliche Regierung gegeben habe (Serrano Suñer, Beigbeder), bedürfe nach dem Bürgerkrieg der Ruhe, würde aber in 2-3 Jahren als ein nicht außer acht zu lassender Machtfaktor an der Seite der Achse stehen. So würde z. B. Spanien innerhalb von zwei Jahren 4 Schlachtschiffe zu 35 000 tons bauen, deren Pläne in den letzten Tagen von einem italienischen General nach Spanien überbracht worden seien. Der Bau solle in El Ferrol stattfinden.

Aus diesen Gründen sei dem Duce außerordentlich viel daran gelegen (le Duce insiste), daß von seiten der Achsenmächte eine Geste gemacht würde, die den Friedenswillen Italiens und Deutschlands erneut bekräftige. Dies könnte durch Veröffentlichung eines Kommuniqués erfolgen, das Graf Ciano bereits am Vortag dem Herrn Reichsaußenminister übermittelt hatte und das er nunmehr erneut in folgender englischer (und französischer) Fassung vorlegte:

"The Minister for Foreign Affairs of the Reich, Mr. v. Ribbentrop, and the Italian Minister for Foreign Affairs, Count Galeazzo Ciano, have examined - in the course of their conversation at Salzburg - the general situation in Europe and the problems concerning the common policy of the two allied countries.

The two Foreign Ministers were able to realize once again in this occasion, the perfect identity of views existing between their Governments, and reaffirm the common decision of Germany and Italy to resist the policy of encerclement promoted by the great democracies and to defend their vital rights, opposing by force any attempt of aggression directed against them.

At the same time the Foreign Minister of the Reich and the Italian Foreign Minister wished to reaffirm the peaceful intentions of their Governments, and thoughtful of the destinies of Europe, they agreed to state that, according to their opinion, it is still possible to reach - through normal diplomatic negotiations between the various interested Governments - a satisfying solution of the problems which trouble, in such a serious way, the life of Europe."

Graf Ciano erklärte zu seinem Kommuniquéentwurf, daß der Duce zunächst ja einen Konferenzvorschlag im Auge gehabt habe. Er habe sich den Bedenken des Führers nicht verschlossen und bringe nunmehr einen anderen Vorschlag in abgemilderter Form, auf dessen Annahme er allerdings großen Wert lege. Zu dem Konferenzplan erklärte der Führer, daß bei künftigen Zusammenkünften der Mächte Rußland nicht mehr ausgeschaltet werden könne. In den deutsch-russischen Besprechungen hätten die Russen unter Hinweis auf München und andere Gelegenheiten, bei denen sie ausgeschlossen wurden, zu verstehen gegeben, daß sie in Zukunft dies nicht mehr hinnehmen würden. Zu den vier Großmächten würden außer Rußland auch Polen und Spanien zu einer solchen Konferenz hinzugezogen werden müssen. Das bedeute aber, daß Italien, Deutschland und Spanien einer Front Englands, Frankreichs, Rußlands und Polens gegenüberstehen würden, was sicherlich eine ungünstige Lage sei.

Graf Ciano erwiderte, der Duce sei der Ansicht, daß derjenige auf einer Konferenz gewinne, der bereit sei, die Konferenz gegebenenfalls auch scheitern zu lassen und evtl. kriegerische Folgen mit in Kauf zu nehmen. Im übrigen habe der Duce den Bedenken des Führers Rechnung getragen und seinen Vorschlag abgemildert. Er sehe in einer Friedensgeste Italiens und Deutschlands, wie sie in diesem Vorschlag enthalten sei, den Vorteil, daß den Westmächten, die innerlich durchaus nicht zu einem Kriege bereit seien, ihn aber nach der Überzeugung des Duce, die sich auf sehr zuverlässige Nachrichten aus den Demokratien stütze, im jetzigen Augenblick sicherlich beginnen würden, wenn sie gewissermaßen von der Achse an die Wand gedrängt wären und keinen anderen Ausweg sähen. Die vorgeschlagene Geste Deutschlands und Italiens stelle für die Westmächte einen ehrenvollen Ausgang dar, den sie auch sicherlich benützen würden, denn es gebe weite Kreise, die vor einem Kriege warnten und deren Rücken natürlich durch eine Friedensgeste erheblich gestärkt würde. Das bedeute aber, daß Polen, von dem sich die Westmächte dann zweifellos distanzieren würden, nach einiger Zeit isoliert wäre und sich zu vernünftigen Lösungen der bestehenden Schwierigkeiten bereitfinden müßte.

Der Führer erwiderte, daß für die Lösung des polnischen Problems keine Zeit zu verlieren sei. Je weiter man in den Herbst hineinkomme, desto schwieriger würden militärische Operationen im Osten Europas werden. Ab Mitte September sei infolge der Wetterverhältnisse die Luftwaffe in diesen Gebieten kaum noch einzusetzen, während die motorisierten Kräfte durch den Zustand der Straßen, die sich infolge der im Herbst einsetzenden Regen schnell in einen Morast verwandelten, ebenfalls unverwendbar würden. Von September bis Mai sei Polen ein großer Sumpf und für irgendwelche militärische Handlungen völlig ungeeignet. So könnte Polen im Oktober Danzig einfach besetzen - und das hätte es wohl auch vor -, ohne daß Deutschland irgend etwas dagegen tun könne; denn Danzig beschießen und zerstören käme natürlich nicht in Frage.

Graf Ciano fragte, in welcher Frist nach Meinung des Führers die Danziger Frage geregelt sein müsse. Der Führer erwiderte, daß diese Regelung bis Ende August so oder so erfolgen müsse. Auf die Frage Cianos, wie sich der Führer eine Lösung vorstelle, erwiderte dieser, daß Polen politisch Danzig aufgeben müsse, wobei seine wirtschaftlichen Interessen selbstverständlich gewahrt werden würden, und daß es im übrigen auch durch seine allgemeine Haltung zur Beseitigung der Spannung beitragen müsse. Es sei ihm zweifelhaft, ob Polen dazu bereit sein werde; denn bisher habe es die deutschen Vorschläge abgelehnt. Der Führer habe persönlich Beck diese Vorschläge bei seinem Besuch auf dem Obersalzberg gemacht. Sie seien für Polen außerordentlich günstig gewesen. Gegen eine politische Rückgabe Danzigs an Deutschland unter voller Wahrung der polnischen Wirtschaftsinteressen und die Herstellung einer Verbindung zwischen Ostpreußen und dem Reich habe Deutschland eine Grenzgarantie, einen 25jährigen Freundschaftspakt und eine Beteiligung Polens am Einfluß auf die Slowakei zugesagt. Beck habe seinerzeit den Vorschlag mit dem Bemerken zur Kenntnis genommen, ihn prüfen zu wollen. Die scharfe Ablehnung sei erst als Folge der englischen Intervention erfolgt. Was im übrigen Polen für Ziele hätte, könne man mit aller Deutlichkeit aus der Presse erkennen. Ganz Ostpreußen sollte genommen werden, man wolle bis nach Berlin vorrücken usw. Es sei für eine Großmacht auf die Dauer unerträglich, einen derartig feindselig eingestellten Nachbarn in einer Entfernung von nur 150 km von seiner Hauptstadt zu dulden. Der Führer sei daher entschlossen, die Gelegenheit der nächsten politischen Provokation in Gestalt eines Ultimatums, einer brutalen Mißhandlung Deutscher in Polen, eines Aushungerungsversuchs Danzigs, eines Einrückens polnischer Truppen in Danziger Gebiet oder dgl. zu benutzen, um innerhalb 48 Stunden Polen anzugreifen und auf diese Weise das Problem zu lösen. Dies würde eine erhebliche Stärkung der Achse bedeuten, genauso wie eine italienische Liquidierung Jugoslawiens für die Achse einen erheblichen Kräftezuwachs bedeuten dürfte.

Graf Ciano fragte, wann eine derartige Unternehmung gegen Polen zu erwarten sei, da sich Italien natürlich auf alle Eventualitäten vorbereiten müsse. Hierauf erwiderte der Führer, daß unter den obwaltenden Umständen mit einem Vorgehen gegen Polen in jedem Augenblick gerechnet werden müsse. Während dieses Meinungsaustausches wurde dem Führer ein Telegramm aus Moskau und ein Telegramm aus Tokio überreicht. Die Besprechung wurde auf kurze Zeit unterbrochen und Graf Ciano sodann der Inhalt des Moskauer Telegramms mitgeteilt. Die Russen seien mit der Entsendung eines deutschen politischen Unterhändlers nach Moskau einverstanden. Der Reichsaußenminister fügte hinzu, daß die Russen über die Absichten Deutschlands gegen Polen absolut unterrichtet seien. Er selbst habe im Auftrage des Führers den russischen Geschäftsträger informiert. Der Führer bemerkte hierzu, daß Rußland seiner Ansicht nach nicht bereit sein werde, für die Westmächte die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Stalins Stellung sei durch eine siegreiche russische Armee ebenso gefährdet wie durch ein geschlagenes russisches Heer. Rußland habe höchstens das Interesse, seinen Zugang zur Ostsee etwas zu erweitern. Deutschland habe nichts dagegen einzuwenden. Im übrigen würde wohl Rußland nie für Polen, das es von ganzem Herzen hasse, eintreten. Die Entsendung der englisch-französischen Militärmission nach Moskau habe nur den einen Zweck, den katastrophalen Stand der politischen Verhandlungen zu verschleiern.

Nach einer weiteren Unterhaltung über den Kommuniquévorschlag des Grafen Ciano erklärte der Führer, er wolle sich diesen Vorschlag sowie die Ausführungen des Grafen Ciano zur allgemeinen Lage einen Tag lang überlegen und schlage daher vor, daß die Verhandlungen am nächsten Tage wieder aufgenommen würden.
Schmidt

Quelle:

  1. Michael Freund (Hrsg.)
    Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Dokumenten, Bd. 3, S. 29ff
    Freiburg im Breisgau, 1956
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