13.08.1939

Niederschrift des Gesandten Schmidt über die Unterredung zwischen Adolf Hitler und dem italienischen Außenminister, Graf Ciano

Der Führer erklärte einleitend, er habe sich seit der letzten Unterredung die gesamte Lage noch einmal reiflich überlegt. Der Reichsaußenminister habe ihm inzwischen mitgeteilt, daß Graf Ciano unter den obwaltenden Umständen damit einverstanden sei, die Unterredung nicht mit einem Kommuniqué abzuschließen. Auch er (der Führer) sei der Ansicht, daß dies der beste Weg sei. So bleibe nach jeder Seite hin Tür und Tor offen, niemand würde gebunden, und nichts würde verhindert.

Grundsätzlich sei er im übrigen mit seinen Überlegungen zu dem gleichen Ergebnis gekommen, das er bereits in der gestrigen Unterredung mitgeteilt habe, nämlich daß die Gefahr bestehe, zu weit in den Herbst hineinzugeraten, so daß Polen für die Erreichung seiner verhältnismäßig beschränkten Ziele freie Bahn bekäme. Es könne Danzig im Wege der langsamen Erpressung gefügig machen, wobei die vertraglichen Voraussetzungen für Polen außerordentlich günstig seien. Danzig könne langsam abgeschnürt und dem wirtschaftlichen Ruin, ja sogar einer Hungersnot ausgesetzt werden. Von der zweiten Hälfte des September und besonders auch Anfang Oktober ab könne Danzig ohne weiteres von Polen besetzt werden. Es würde dann eine Wiedereroberung des Korridors und Danzigs deutscherseits erfolgen, aber irgendwelche größere militärische Operationen seien zu dieser Jahreszeit nicht mehr möglich. Danzig würde dabei in Trümmer gehen. Die schweren motorisierten Kräfte Deutschlands, die zu einem Tiefenstoß gegen Polen benötigt würden, seien nicht mehr verwendbar. Bei einem strengen Winter würde es zwar möglich sein, gewisse militärische Operationen durchzuführen, aber die Vernebelung und Verschlammung der Feldflugplätze sowie der gewöhnlichen Flughäfen machen jedes Einsetzen der Luftwaffe unmöglich. Wenn man deutsche Flughäfen benützte, so würde die Flugstrecke stark verlängert, der Benzinverbrauch erhöht und die mitzuführende Bombenlast erheblich herabgesetzt werden. Es sei also von entscheidender Bedeutung, daß innerhalb kürzester Zeit erstens Polen seine Ansichten klar zu erkennen gebe und zweitens keinerlei Provokationen mehr von Deutschland hingenommen würden. Wenn man sich Provokationen jetzt gefallen ließe, so müsse man sie erst recht im Oktober hinnehmen, wenn die Tank- und die Luftwaffe nicht mehr verwendungsfähig seien. Die saisonbedingte Schwäche Deutschlands sei dem polnischen Generalstab sehr wohl bekannt, und deshalb spiele Polen auf Zeit. Er (der Führer) käme daher zu zwei Schlußfolgerungen:

1. Wenn eine neue Provokation erfolge, würde er schnellstens zugreifen.

2. Wenn Polen nicht klar und deutlich seine politische Stellungnahme zu erkennen gebe, so müsse eine derartige Stellungnahme herbeigeführt werden.

Man dürfe nicht vergessen, daß die "Nervensäge", die die Polen durch Herbeiführung ständiger Zwischenfälle und Provokationen angesetzt hätten, nunmehr drei Monate lang in Tätigkeit sei. Jedes Zeichen eines Nachgebens würde bei der slawischen Mentalität geradezu ein Überschäumen des polnischen Übermutes nach sich ziehen. Ein Nachgeben würde daher keinerlei Stärkung der Gesamtposition bringen, sondern ganz allgemein von den anderen Ländern als Schwächezeichen ausgelegt werden. Wenn die westlichen Demokratien den Entschluß, gegen die Achse vorzugehen, bereits fest gefaßt hätten, so würden sie auf keinen Fall mit der Ausführung ihres Plans 3 oder 4 Jahre warten und erst zu einem Zeitpunkt angreifen, an dem die Achsenmächte ihre notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen hätten, sondern sie würden den Konflikt früher herbeiführen. Hätten sie aber den Entschluß noch nicht gefaßt - was er (der Führer) mit Rücksicht auf den Rüstungsstand der westlichen Länder glaube -, so sei das beste Mittel, sie von einem Vorgehen zurückzuhalten, Polen gegenüber schnell zu handeln.

Im übrigen sei jede gelungene Einzelaktion eines Achsenpartners gleichbedeutend mit einer nicht nur strategischen, sondern vor allen Dingen auch psychologischen Stärkung des Partners sowie der gesamten Achse. Italien habe in Abessinien, Spanien und Albanien eine Reihe erfolgreicher Einzelaktionen durchgeführt, und zwar immer gegen den Willen der demokratischen Entente. Diese Einzelaktionen hätten nicht nur in jedem Falle Italiens Interessen an Ort und Stelle gefördert, sondern auch seine Gesamtstellung außerordentlich gestärkt. Dasselbe sei bei Deutschlands Aktionen in Österreich, der Tschechoslowakei usw. der Fall gewesen. Auch hier hätten sich nicht nur die örtlichen Interessen verbessert, sondern die Gesamtstellung sei gefestigt worden. Die Achse als solche habe dabei erheblich gewonnen. Wenn man sich einmal vorstelle, daß die betreffenden Einzelaktionen nicht erfolgt wären, und sich klarmache, wie dann die Stellung Italiens oder Deutschlands gewesen wäre, käme man noch deutlicher zu dieser vorgenannten Erkenntnis, daß materiell und psychologisch die Einzelaktionen die Gesamtstellung aufs stärkste gefördert hätten. Die Stärkung der Achse, die sich so ergeben habe, sei von größter Wichtigkeit für die unausbleibliche Auseinandersetzung mit den Westmächten. So wie die Dinge jetzt lägen, könnten Italien und Deutschland in der Welt einfach nicht weiterexistieren, und zwar aus Platzmangel. Nun sei nicht etwa kein Platz mehr da, sondern der vorhandene Raum würde nur durch die jetzigen Besitzer völlig blockiert. Wie Geizhälse säßen sie auf ihren Goldhaufen und berauschten sich daran, in ihren Reichtümern herumzuwühlen, ohne sie nutzbringend verwenden zu können. Die westlichen Demokratien seien von dem Willen geleitet, die Welt zu beherrschen, und sähen Deutschland und Italien als nicht ebenbürtig an. Dieses psychologische Element der Mißachtung sei vielleicht das schlimmste an der ganzen Lage. Es könne nur besiegt werden durch einen Kampf auf Leben und Tod, den die beiden Achsenpartner um so besser bestehen könnten, als ihre Interessen sich an keinem Punkte überkreuzten. Das Mittelmeer sei unbestrittenerweise aus historischen und geographischen Gründen Italiens ureigenste Domäne, in der ihm die Vormachtstelle gebühre. Der Duce habe ihm gegenüber auf dem "Conte Cavour" die Lage dadurch hervorragend charakterisiert, daß er sagte, Italien sei bereits jetzt allein durch seine geographische Lage die vorherrschende Macht im Mittelmeer, dagegen, erklärte der Führer, werde Deutschland den alten Germanenweg nach Osten beschreiten, der ihm auch aus wirtschaftlichen Gründen angezeigt erschiene. Daß Italien aus geographischen und historischen Gründen die Vormacht des Mittelmeeres sei, habe übrigens auch der Gründer des II. Reiches, Bismarck, klar erkannt und in dem bekannten Brief an Mazzini zum Ausdruck gebracht. So verliefen denn die Interessenlinien Deutschlands und Italiens in ganz verschiedenen Richtungen, und es könne niemals zu einem Interessenkonflikt kommen.

Der Reichsaußenminister fügte hier ein, daß, wenn die beiden in der gestrigen Unterredung vom Führer genannten Probleme gelöst wären, Italien und Deutschland im Kampfe gegen den Westen den Rücken frei hätten.

Der Führer erklärte, daß man Polen so niederschlagen müsse, daß es auf jeden Fall 10 Jahre lang kampfunfähig sei. In diesem Falle könne man sich mit dem Westen auseinandersetzen.

Graf Ciano dankte dem Führer für die außerordentlich klaren Darlegungen über die Lage. Er habe seinerseits nichts hinzuzufügen und würde dem Duce in allen Einzelheiten über die Mitteilungen des Führers berichten. In einem Punkte erbäte er vielleicht noch eine Präzisierung, um dem Duce alle Elemente zur Beurteilung der Lage in die Hand zu geben. Der Duce würde ja wohl keine Entscheidung zu fällen haben, da der Führer der Überzeugung Ausdruck gegeben habe, daß der Konflikt mit Polen sich lokalisieren lassen würde. Auf Grund einer langen Erfahrung könne er (Graf Ciano) sagen, daß der Führer in seiner Beurteilung der Lage bisher immer recht behalten habe. Aber wenn auch Mussolini keine Entscheidung zu treffen hätte, so würde er doch gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreifen wollen, und aus diesem Grunde stelle er (Graf Ciano) folgende Frage:

Der Führer habe zwei Gründe genannt, aus denen er gegen Polen vorgehen würde : Erstens, wenn Polen eine ernste Provokation vornähme, und zweitens, wenn es seine politische Haltung nicht kläre. Die Provokationen seien von dem Willen des Führers unabhängig und könnten jederzeit erfolgen, worauf dann in jedem Augenblick die deutsche Gegenaktion ausgelöst würde. Der zweite Fall jedoch schließe gewisse Fristen ein. Er frage daher, bis zu welchem Datum Polen seine politische Haltung nach Ansicht Deutschlands geklärt haben müsse, wobei er durchaus Verständnis für die saisonbedingten Gegebenheiten der Lage habe.

Der Führer erwiderte, daß die Klärung der politischen Stellungnahme Polens bis spätestens Ende August erfolgt sein müsse, da zwar der entscheidende Hauptteil der militärischen Operationen gegen Polen innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden könnte, die endgültige Liquidierung jedoch immerhin noch weitere 14 Tage bis 4 Wochen in Anspruch nehmen würde, sie daher erst Ende September, Anfang Oktober abgeschlossen werden könnte. Daraus ergebe sich der Termin Ende August notwendigerweise.

Zum Schluß versicherte der Führer dem Grafen Ciano erneut, daß er seit seiner Jugend für die deutsch-italienische Zusammenarbeit eingetreten sei und in keiner seiner Publikationen etwas anderes zu finden wäre. Er sei von Anfang an der Ansicht gewesen, daß Deutschland und Italien von Natur aus zum Zusammengehen bestimmt seien, weil zwischen ihnen keinerlei Interessengegensätze bestünden. Persönlich sei er glücklich, in einer Zeit zu leben, wo außer ihm selbst noch ein anderer Staatsmann lebe, der groß und einmalig in der Geschichte dastehe. Daß er der Freund dieses Mannes sein könne, bedeute für ihn großes persönliches Glück. Wenn die Stunde des gemeinsamen Kampfes schlage, so würde er immer an der Seite des Duce zu finden sein, und zwar auf Gedeih und Verderb. Schmidt

Quelle:

  1. Michael Freund (Hrsg.)
    Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Dokumenten, Bd. 3, S. 40ff
    Freiburg im Breisgau, 1956
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