24.10.1942

Dr. Raschers Unterkühlungsversuche

Sigmund Rascher und Ernst Holzloehner
Sigmund Rascher (r) und Ernst Holzloehner untersuchen eine Versuchsperson

  1. Schreiben Himmler an Rascher
  2. Schreiben Rascher an Himmler
  3. Schreiben Rascher an Himmler, Anlage

Reichsführer-SS
Nr. 1397/42

Feldkommandostelle, 24. Oktober 1942
Dr. Sigmund Rascher
München
Trogerstr. 56

Geheime Reichsache
3 Ausfertigungen
2. Ausfertigung

Lieber Rascher!

Ich bestätige den Empfang Ihrer Briefe vom 9. 10. und Ihrer beiden Schreiben vom 16. 10. 1942.

Ihren Bericht über Abkühlungsversuche am Menschen habe ich mit großem Interesse gelesen. SS-Obersturmbannführer Sievers soll Ihnen die Möglichkeit bei Instituten, die uns nahe stehen, die Auswertung zu ermöglichen, verschaffen.

Leute, die heute noch diese Menschenversuche ablehnen, lieber dafür aber tapfere deutsche Soldaten an den Folgen dieser Unterkühlung sterben lassen, sehe ich auch als Hoch- und Landesverräter an, und ich werde mich nicht scheuen, die Namen dieser Herren an den in Frage kommenden Stellen zu nennen. Ich ermächtige Sie, von dieser meiner Ansicht die betreffenden Stellen zu verständigen.

Zu einem mündlichen Vortrag werde ich Sie im November bitten, da ich vorher leider, trotz des großen Interesses. nicht dazu komme.

SS-Obergruppenführer Wolff wird mit Generalfeldmarschall Milch noch einmal Fühlung aufnehmen. Sie sind ermächtigt, von den Nichtärzten nur Generalfeldmarschall Milch und selbstverständlich dem Reichsmarschall, falls dieser dazu Zeit hat, Bericht zu erstatten.

Für die Erwärmung für in Seenot Befindliche, die in Booten oder auf kleinen Schiffen aufgenommen werden, bei denen keine Möglichkeit besteht, die unterkühlten Menschen in ein heißes Bad zu tun, halte ich Decken, in denen in das Futter Wärmepakete oder etwas Ähnliches eingenäht ist, für am besten. Ich nehme an, daß Sie die Wärmepakete, die wir auch in der SS haben und die die Russen sehr viel verwandten, kennen. Sie bestehen aus einer Masse, die nach einem Zusatz von Wasser 70 bis 80° Wärme entwickelt und diese stundenlang anhält.

Sehr neugierig bin ich auf die Versuche mit animalischer Wärme. Persönlich nehme ich an, daß diese Versuche vielleicht den besten und nachhaltigsten Erfolg bringen werden. Es kann natürlich sein, daß ich mich täusche.

Halten Sie mich weiter über die Forschungen auf dem laufenden. Im November werden wir uns ja sehen.

Heil Hitler! Ihr gez. H. Himmler

2.) SS-Obergruppenführer Wolff

durchschriftlich mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Den Bericht füge ich mit der Bitte um Kenntnisnahme und Rückgabe bei, da der Reichsführer-SS in München die Unterlagen wieder vorgelegt bekommen will.

I. A.

Brandt SS-Obersturmbannführer


Dr. med. S. Rascher
SS-Hauptsturmführer
München,
den 17. Februar 1943

An den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Herrn Heinrich Himmler Berlin SW 11 Prinz-Albrecht-Str. 8

Hochverehrter Reichsführer!

In der Anlage überreiche ich, in kurze Form gebracht, eine Zusammenstellung der Resultate, welche bei den Erwärmungsversuchen an ausgekühlten Menschen durch animalische Wärme gewonnen wurden.

Zur Zeit arbeite ich daran, durch Menschenversuche nachzuweisen, daß Menschen, welche durch trockene Kälte ausgekühlt wurden, ebenso schnell wieder erwärmt werden können als solche, welche durch Verweilen im kalten Wasser auskühlten. Der Reichsarzt SS SS-Gruppenführer Dr. Gravitz, bezweifelte diese Möglichkeit allerdings stärkstens und meinte, daß ich dies erst durch 100 Versuche beweisen müsse. Bis jetzt habe ich etwa 30 Menschen unbekleidet im Freien innerhalb 9-14 Stunden auf 27°-29° abgekühlt. Nach einer Zeit, welche einem Transport von einer Stunde entsprach, habe ich die Versuchspersonen in ein heißes Vollbad gelegt. Bis jetzt war in jedem Fall, trotz teilweise weißgefrorener Hände und Füße, der Patient innerhalb längstens einer Stunde wieder völlig aufgewärmt. Bei einigen Versuchspersonen trat am Tage nach dem Versuch eine geringe Mattigkeit mit leichtem Temperaturanstieg auf. Tödlichen Ausgang dieser außerordentlich schnellen Erwärmung konnte ich noch nicht beobachten. Die von Ihnen, hochverehrter Reichsführer, befohlene Aufwärmung durch Sauna konnte ich noch nicht durchführen, da im Dezember und Januar für Versuche im Freien zu warmes Wetter war und jetzt Lagersperre wegen Typhus ist, und ich daher die Versuchspersonen nicht in die SS-Sauna bringen darf. Ich habe mich mehrmals impfen lassen und führe die Versuche im Lager, trotz Typhus im Lager, selber weiter durch. Am einfachsten wäre es, wenn ich, bald zur Waffen-SS überstellt, mit Neff nach Auschwitz fahren würde und dort die Frage der Wiedererwärmung an Land Erfrorener schnell in einem großen Reihenversuch klären würde. Auschwitz ist für einen derartigen Reihenversuch in jeder Beziehung besser geeignet als Dachau, da es dort kälter ist und durch die Größe des Geländes im Lager selbst weniger Aufsehen erregt wird (die Versuchspersonen brüllen(!), wenn sie sehr frieren).

Wenn es, hochverehrter Reichsführer, in Ihrem Sinne ist, diese für das Landheer wichtigen Versuche in Auschwitz (oder Lublin oder sonst einem Lager im Osten) beschleunigt durchzuführen, so bitte ich gehorsamst, mir bald einen entsprechenden Befehl zu geben, damit die letzte Winterkälte noch genützt werden kann.

Mit gehorsamsten Grüßen bin ich in aufrichtiger Dankbarkeit mit Heil Hitler Ihr, Ihnen stets ergebener

S. Rascher


Versuche zur Erwärmung unterkühlter Menschen durch animalische Wärme

Geheim

A. Aufgabenstellung.

Es ist zu untersuchen, ob die Erwärmung unterkühlter Menschen durch animalische Wärme, d. h. durch tierische oder menschliche Wärme, ebensogut oder besser ist als die Erwärmung durch physikalische oder medikamentöse Maßnahmen.

B. Versuchsanordnung.

Die Versuchspersonen wurden in der üblichen Weise - bekleidet oder unbekleidet in kaltem Wasser verschiedener Temperatur (zwischen 4 und 9 Grad) abgekühlt. Die Messung der Temperatur der Versuchspersonen wurde in jedem Falle thermo-elektrisch rektal vorgenommen. Die Abkühlung auf niedere Werte erfolgte in der üblichen Zeit, schwankend nach dem allgemeinen Körperzustand der Versuchspersonen und der Temperatur des Wassers. Die Herausnahme aus dem Wasser geschah bei 3o Grad Rektal-Temperatur. Bei dieser Temperatur waren die Versuchspersonen stets bewußtlos. In acht Fällen kamen die Versuchspersonen zwischen zwei nackte Frauen in ein breites Bett zu liegen. Die Frauen hatten sich möglichst nahe an den abgekühlten Menschen anzuschmiegen. Dann wurden die drei Personen mit Decken zugedeckt. Eine Beschleunigung der Erwärmung durch Lichtbogen oder durch medikamentöse Maßnahmen wurde nicht versucht.

C. Ergebnisse.

1. Bei der Temperaturmessung der Versuchspersonen fiel in jedem Falle auf, daß ein Temperaturnachsturz bis zu 3 Grad eintrat (siehe Kurve 1), d.h. ein stärkeres Nachfallen als bei jeder anderen Erwärmungsart. Es konnte beobachtet werden, daß das Bewußtsein zu einem früheren Zeitpunkt, d. h. bei schon einer niedrigeren Temperatur wieder eintrat als bei anderen Erwärmungsarten. Waren die Versuchspersonen erst einmal bei Bewußtsein, so verloren sie dieses nicht mehr, sondern erfaßten sehr schnell ihre Situation und schmiegten sich eng an die nackten Frauenkörper an.

Der Körpertemperaturanstieg erfolgte dann ungefähr in derselben Geschwindigkeit wie bei Versuchspersonen, welche durch Einhüllung in Decken erwärmt wurden (siehe Kurve 2). Eine Ausnahme machten vier Versuchspersonen, welche zwischen 30 und 32 Grad den Beischlaf ausübten. Bei diesen Versuchspersonen trat nach dem Coitus ein sehr schneller Temperaturanstieg ein, welcher verglichen werden kann mit der Erwärmung in heißem Bad (siehe Kurve 2 und 3).

2. Ein weiterer Versuch betrifft die Erwärmung unterkühlter Menschen mit einer Frau. Hier zeigte sich in jedem Falle eine wesentlich schnellere Erwärmung als diese durch zwei Frauen möglich war. Ich führe dies darauf zurück, daß bei Erwärmung durch eine Frau die persönlichen Hemmungen wegfallen und sich die Frau viel inniger an den Ausgekühlten anschmiegt (siehe Kurve 4). Die Wiederkehr des vollen Bewußtseins trat auch hier auffällig schnell ein, lediglich bei einer Versuchsperson kehrte kein Bewußtsein wieder, es war nur eine geringe Erwärmung zu verzeichnen. Unter den Erscheinungen einer Gehirnblutung, wie durch spätere Sektion bestätigt wurde, kam die Versuchsperson ad exitum.

D. Zusammenfassung.

Bei den Wiedererwärmungsversuchen stark abgekühlter Versuchspersonen zeigte es sich, daß die Erwärmung mit animalischer Wärme sehr langsam vor sich geht. Lediglich solche Versuchspersonen, deren körperlicher Zustand den Coitus erlaubte, erwärmten sich auffallend schnell und zeigten ebenso auffallend schnell eine Wiederkehr des völligen körperlichen Wohlbefindens.

Da bei zu langem Verbleiben des Körpers in niedrigen Temperaturen die Gefahr einer zentralen Schädigung vorhanden ist, muß zur Wiedererwärmung jene Methode gewählt werden, welche die schnellste Überwindung der gefährlichen tiefen Temperaturen verbürgt. Diese Methode ist erfahrungsgemäß die massive Wärmezufuhr durch ein heißes Vollbad.

Die Wiedererwärmung stark abgekühlter Menschen durch menschliche oder tierische Wärme kann somit nur in solchen Fällen empfohlen werden, bei denen andere Erwärmungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder bei welchen es sich um zarte Individuen handelt, welche eine massive Wärmezufuhr vielleicht nicht gut vertragen. Als Beispiel denke ich an abgekühlte Kleinkinder, welche am besten am Mutterleib, unter Zuhilfenahme von Wärmeflaschen erwärmt werden.

Dachau, den 12.Februar 1943

Dr. S. Rascher
SS-Hauptsturmführer

Quelle:

  1. Poliakov/Wulf
    Das Dritte Reich und die Juden
    Frankfurt/M. 1983
  2. Bildquelle: Yad Vashem Bildarchiv, Archival Signature 4613/1105.
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