18.10.1944

Anfrage des Gesandten in Bern an das Auswärtige Amt

Geheime Reichssache

Der Gesandte in Bern Köcher an das Auswärtige Amt

BERN, den 18. Oktober 1944

Betr.: Versuch der Schutzmacht, eine amerikanische Mitteilung zur Judenfrage zu übermitteln.

Der Leiter der Abteilung für fremde Interessen im Eidgenössischen Politischen Departement, Gesandter von Pury, bat am 17. Oktober Gesandten Bielfeld zu sich, um ihm eine Mitteilung zu machen, die zwar keine eigentliche Schutzmachtangelegenheit sei, zu deren Übermittlung sich die schweizerische Regierung aber aus rein humanitären Erwägungen für verpflichtet gehalten habe, wie sie auch in deutschem Auftrag der Gegenseite manches übermittelt habe, was strenggenommen über den engeren Aufgabenkreis der Schweiz als Vertreterin deutscher Interessen hinausgegangen sei. Die mündlich gemachte Mitteilung hatte folgenden Inhalt:

Das Staatsdepartement in Washington habe mit Telegramm vom 7. Oktober die amerikanische Gesandtschaft in Bern wissen lassen, daß, nach eingegangenen Informationen, Befehle zur Ausrottung der Juden, die in drei Konzentrationslagern unter deutscher Kontrolle festgehalten werden, und zwar Oswiecim, Birkenau und Naeuss[?], erteilt worden seien. Es soll sich um 65 000 Juden handeln.

Die amerikanische Gesandtschaft sei beauftragt worden, den Vertretern der Reichsregierung zur Kenntnis bringen zu lassen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von diesen Informationen Kenntnis habe und außerdem wisse, daß Reichsinnenminister Himmler selbst gewissen anderen offiziellen Persönlichkeiten die Ermächtigung gegeben habe, dieses Todesurteil zu vollstrecken.

Das Telegramm aus Washington füge hinzu, daß infolgedessen die Verantwortung für dieses Vorgehen feststehe und, falls letzteres ausgeführt werden sollte, die entsprechenden Folgen eintreten und - gemäß den offiziell bekanntgegebenen Grundsätzen, welche die amerikanische Regierung in solchen Angelegenheiten befolge - alle Mitverantwortlichen treffen werden.

Bielfeld erwiderte hierauf sofort, daß er die Entgegennahme einer solchen Mitteilung auf das entschiedenste ablehnen müsse und gab seinem Befremden darüber Ausdruck, daß die Abteilung für fremde Interessen sich zur Übermittlung einer solchen Mitteilung bereit gefunden habe. Der amerikanischen Regierung fehle jegliche Aktivlegitimation. Mitteilungen, die die amerikanische Regierung bezüglich amerikanischer Staatsangehöriger in Deutschland etwa an die Reichsregierung zu übermitteln wünsche, könnten nach den bisher üblichen Gepflogenheiten jederzeit durch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin beim Auswärtigen Amt vorgebracht werden.

Gesandter von Pury, dem der ihm zuteil gewordene Auftrag sichtlich unangenehm war, erwiderte, daß er eine andere Antwort nicht erwartet habe und deshalb bereits von sich aus das ursprüngliche Verlangen der amerikanischen Gesandtschaft, uns die Mitteilung schriftlich zuzuleiten, abgelehnt habe, weil er damit gerechnet habe, daß ihm die deutsche Gesandtschaft eine solche Note kurzerhand zurückgeschickt haben würde. Es sei ihm, Pury, unverständlich, wie die amerikanische Regierung annehmen konnte, daß die Schutzmacht eine Mitteilung derartigen Inhalts bei uns anbringen könnte. Immerhin bäte er um Verständnis dafür, daß das Eidgenössische Politische Departement aus rein humanitären Beweggründen wenigstens den Versuch habe machen müssen, die Mitteilung an uns weiterzuleiten. Er nehme von unserer Antwort Kenntnis und werde die amerikanische Gesandtschaft entsprechend verständigen.

KÖCHER

Quellen:

  1. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945
    Band E,8
    VANDENHOECK & RUPRECHT
    Göttingen 1979
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