27.09.1938

Hitlers Brief an Chamberlain

Sehr verehrter Herr Chamberlain!

Ich habe Sir Horace Wilson, der mir Ihr Schreiben vom 26. September überbrachte, meinen endgültigen Standpunkt in zwei Unterhaltungen nochmals zur Kenntnis gebracht, möchte Ihnen aber auf einige Einzelpunkte Ihres Schreibens brieflich noch folgendes erwidern:

Die Regierung in Prag glaubte behaupten zu können, daß die Vorschläge meines Memorandums vom 23. September weit über die von ihr gegenüber der britischen und französischen Regierung gemachten Zugeständnisse hinausgingen und daß ihre Annahme die Tschechoslowakei jeder Gewähr für ihre nationale Existenz berauben würde. Diese Behauptung wird damit begründet, daß die Tschechoslowakei große Teile ihres vorbereiteten Verteidigungssystems aufgeben solle, bevor sie noch anderweitige Vorkehrungen für ihren militärischen Schutz habe treffen können. Dadurch würde automatisch die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes beseitigt. Auch würde der von mir vorgeschlagene Bevölkerungsaustausch in eine panikartige Flucht ausarten.

Ich muß offen aussprechen, daß ich für diese ganze Argumentation kein Verständnis aufzubringen vermag, ja daß ich sie nicht einmal als ernst gemeint ansehen kann. Die Regierung in Prag geht einfach an der Tatsache vorbei, daß die sachliche Gestaltung der Endregelung des sudetendeutschen Problems nach meinen Vorschlägen in keiner Weise von einem einseitigen deutschen Ermessen oder von deutschen Gewaltmaßnahmen, sondern einerseits von einer freien und unbeeinflußten Abstimmung, anderseits in denkbar weitem Umfang von noch zu treffenden deutsch-tschechischen Einzelabreden abhängig gemacht wird. Sowohl die genaue Festlegung der Gebiete, in denen abgestimmt werden soll, als auch die Durchführung der Abstimmung und die auf Grund ihres Ergebnisses zu ziehende deutsch-tschechoslowakische Grenze sind nach meinen Vorschlägen jeder einseitigen Bestimmung durch Deutschland entzogen. Auch alle sonstigen Einzelheiten sollen den Vereinbarungen einer deutsch-tschechischen Kommission vorbehalten bleiben.

Gegenüber dieser Konstruktion meiner Vorschläge und gegenüber der von der Tschechoslowakei sachlich zugestandenen Abtrennung des sudetendeutschen Siedlungsgebiets stellt die von mir geforderte sofortige Besetzung durch deutsche Kontingente nichts als eine Sicherungsmaßnahme dar, die eine schnelle und glatte Herbeiführung der endgültigen Regelung gewährleisten soll. Diese Sicherungsmaßnahme ist unerläßlich. Wenn die deutsche Regierung darauf verzichtete und die ganze weitere Behandlung des Problems einfach auf den Weg gewöhnlicher Verhandlungen mit der Tschechoslowakei verwiese, würden die augenblicklichen unerträglichen Zustände im sudetendeutschen Gebiet, deren Charakter ich in meiner gestrigen Rede vor dem deutschen Volk gekennzeichnet habe, noch unabsehbare Zeit hindurch andauern. Die tschechoslowakische Regierung hätte es ganz in ihrer Hand, die Verhandlung über diesen oder jenen Punkt beliebig in die Länge zu ziehen und damit die Endregelung zu verschleppen. Sie werden nach allem, was geschehen ist, Verständnis dafür haben, daß ich in gegenteilige Versicherungen der Regierung in Prag nicht das geringste Vertrauen zu setzen vermag. Auch die britische Regierung würde sicherlich nicht in der Lage sein, diese Gefahr durch etwaige Anwendung diplomatischer Druckmittel zu beseitigen.

Daß der Tschechoslowakei ein Teil ihrer Befestigungsanlagen verloren geht, ist natürlich eine unvermeidliche Folge der von der Regierung in Prag selbst zugestandenen Abtrennung des sudetendeutschen Gebietes. Wollte man mit der Inkraftsetzung der Endregelung so lange warten, bis die Tschechoslowakei auf dem ihr verbleibenden Gebiet neue Befestigungsanlagen fertiggestellt hat, würde das zweifellos Monate und Jahre dauern. Vor allem ist es aber völlig abwegig, zu behaupten, daß die Tschechoslowakei auf diese Weise in ihrer nationalen Existenz oder in ihrer politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit bedroht würde. Aus meinem Memorandum ergibt sich, daß sich die deutsche Besetzung nur bis zu der angegebenen Linie erstrecken wird und daß die endgültige Festsetzung der Grenzen in der von mir vorstehend schon bezeichneten Weise erfolgen soll. Die Regierung in Prag hat kein Recht, zu bezweifeln, daß sich die deutschen militärischen Maßnahmen in diesen Grenzen halten werden. Will sie trotzdem solche Zweifel geltend machen, so mag die britische und eventuell auch die französische Regierung noch eine ausdrückliche Gewähr für die strikte Innehaltung meiner Vorschläge übernehmen. Ich kann mich im übrigen darauf beschränken, auf meine gestrige Rede zu verweisen, in der ich eindeutig erklärt habe, daß ich jeden Zugriff auf das tschechische Gebiet ablehne und daß ich unter den von mir angegebenen Voraussetzungen sogar bereit bin, für den Restbestand der Tschechoslowakei eine förmliche Garantie zu übernehmen. Von einer Bedrohung der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei kann also nicht im entferntesten die Rede sein. Ebenso falsch ist es, von einer wirtschaftlichen Gefährdung zu sprechen. Es ist im Gegenteil eine notorische Tatsache, daß die Tschechoslowakei nach Abtrennung des sudetendeutschen Gebietes einen gesünderen und einheitlicheren Wirtschaftskörper darstellen wird als vorher.

Wenn sich die Regierung in Prag schließlich auch wegen des Schicksals der tschechischen Bevölkerung in den zu besetzenden Gebieten besorgt zeigt, so kann ich das nur mit Verwunderung aufnehmen. Sie kann sicher sein, daß von deutscher Seite nicht das geringste geschehen wird, was diesen Tschechen etwa ein ähnliches Schicksal bereiten könnte, wie es infolge der tschechoslowakischen Maßnahmen über die Sudetendeutschen hereingebrochen ist. Es versteht sich für mich ganz von selbst, daß alle deutschen Stellen jede Härte gegen die tschechische Bevölkerung vermeiden werden.

Unter diesen Umständen kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, daß die Regierung in Prag den Vorschlag der Besetzung durch deutsche Truppen nur benutzt, um durch Entstellung des Sinns und Zwecks meiner Vorschläge diejenigen Kräfte in dritten Ländern, insbesondere in England und Frankreich, mobilzumachen, von denen sie eine bedingungslose Unterstützung ihrer Absichten und damit die Möglichkeit einer allgemeinen kriegerischen Konflagration erhofft. Ich muß es Ihrem Ermessen überlassen, ob Sie bei dieser Sachlage für angebracht halten, Ihre Bemühungen, für die ich Ihnen auch bei dieser Gelegenheit noch einmal aufrichtig danken möchte, fortzusetzen, derartige Machinationen zu durchkreuzen und die Regierung in Prag noch rechtzeitig zur Vernunft zu bringen.

Adolf Hitler

Siehe auch:

Quelle:

  1. Michael Freund
    Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten (1), S. 223ff
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